Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition)
noch.«
»Die Weiße Hand gibt es nicht mehr. Die haben wir zerschlagen vor einem Jahr.«
»Der Mann jedenfalls, der für Lapke mordet, ob Sie ihn nun Phantom nennen wollen oder sonst wie, ist einer Ihrer Kollegen, Herr Kommissar, glauben Sie mir.«
»Das Phantom ist ein Scharfschütze, dem Opfer im Polizeigefängnis wurde das Genick gebrochen.«
Marlow zuckte die Achseln. »Würde mich jedenfalls wundern, wenn Lapke ausgerechnet mit diesem Fall jemand anderen betraut hätte.«
»Und welcher Polizist sollte das sein?«
»Wenn ich das wüsste, wäre der Mann schon aufgeflogen, das können Sie mir glauben. Oder tot.«
»Sie sind sehr gut informiert.«
»Information ist in meiner Branche das A und O«, sagte Marlow, und Rath kam der Wahlspruch seines Vaters in den Sinn: Wissen ist Macht .
Er dachte nach und drückte seine Zigarette in den Aschenbecher. Der war ungefähr so groß wie in seinem Buick das Handschuhfach. »Meinen Sie«, fragte er, »Paul Marczewski ließe sich eventuell dafür gewinnen, gegen Gustav Wengler auszusagen?«
»Sie wollen Wengler unbedingt drankriegen, was?« Marlow grinste. »Wenn es den Piraten schadet, haben Sie meine Unterstützung. Allerdings dürfte Marczewski als Zeuge vor Gericht nicht den besten Eindruck machen, fürchte ich, und er wird auf so einen Auftritt auch nicht gerade wild sein, aber …« – Marlow schnippte seine Zigarette aus dem Fenster. – »… ich werde mal sehen, was sich da sonst so machen lässt.«
94
S ie saß noch keinen halben Tag an diesem Schreibtisch, und schon hatte der Trott sie wieder eingeholt.
Am Wochenende hatte sie sich noch der Illusion hingegeben, für die Mordkommission zu arbeiten, hatte mit Gereon über den Toten in der Arrestzelle gesprochen und noch ein paarmal den Namen Dettmann erwähnt, ohne dass Herr Rath darauf angesprungen wäre.
Immerhin hatten ihre Kolleginnen die Weddinger Mädchenbande inzwischen ausgehoben. Die Vernehmungen waren bereits gelaufen, während Charly in der Mordkommission Vaterland gearbeitet hatte, jetzt durfte sie zusammen mit Karin van Almsick, mit der sie sich wieder das Büro teilte, die Protokolle durchackern, auf der Suche nach irgendwelchen Auffälligkeiten oder Widersprüchen.
Obwohl die Mädchen bei ihren U-Bahn-Überfällen ziemlich rabiat vorgingen und ihre Opfer mit Schnappmessern bedrohten, die sie gerne vor deren Nasen aufspringen ließen, hatte Charly eher Mitleid mit den armen Gören.
Die Jüngste in der Bande war vierzehn, die Älteste siebzehn, alles obdachlose, elternlose Mädchen, die sich irgendwie durchschlugen. Charly musste an Alex denken, die sie vor einem Jahr kennengelernt hatte. Wo die jetzt wohl sein mochte? Zunächst hatte sie gefürchtet, in den Protokollen womöglich auf den Namen Alexandra Reinhold zu stoßen, und war froh, dass dies nicht der Fall war. Auch Alex hatte geklaut, auch sie hatte von ihrem Messer ab und zu Gebrauch gemacht, dennoch mochte Charly das Mädchen. Sie hoffte, dass Alex ihr Leben irgendwie wieder auf die Beine stellen würde und ihre Freundin Vicky ebenso.
»Woran denkst du?«
Karin van Almsick war eine sehr neugierige Kollegin.
»Lass mich raten: an ihn, nicht wahr?«
Wie in der Inspektion A war auch in der Inspektion G heute Morgen die Verlobung der Kommissaranwärterin Ritter mit dem Kriminalkommissar Gereon Rath bekannt gegeben worden. Charly hatte die Glückwünsche der Kolleginnen entgegengenommen und für morgen einen Kuchen versprechen müssen.
»Nee, eigentlich nicht«, sagte sie. »Wenn ich ehrlich bin, denke ich gar nicht so oft an Gereon.«
Charly versuchte, sich wieder auf das Vernehmungsprotokoll zu konzentrieren, das vor ihr lag, doch die Kollegin ließ sie nicht.
»Wie lange kennt ihr euch eigentlich schon? Die Pfeiffer von der Jugendkriminalität sagt, du hast vor drei Jahren schon in der Mordinspektion gearbeitet. Als Stenotypistin.«
»Da habe ich Gereon Rath tatsächlich kennengelernt. Scharfsinnig geschlossen. Man merkt, dass du Kriminalistin bist.«
Die Kollegin lächelte immer noch selig. Sie hatte Charlys Sarkasmus nicht verstanden, und vielleicht war das auch besser so.
»So lange seid ihr schon ein Paar?«
»Wir waren mal ein Paar und dann auch wieder nicht. Wir haben uns sozusagen zusammengerauft.«
Karin van Almsick schaute mitfühlend. »Wie schrecklich!«
»Halb so wild. Es gibt ja auch andere Männer.«
Charly hatte das so dahingesagt, aber bei ihrer Kollegin schien der Satz ungläubiges Staunen
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