Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition)
hervorzurufen.
»Das war jetzt ein Witz, was?«
»Wie?«
»Das mit den anderen Männern. Du hast nicht wirklich …«
Karin schien vor Neugier beinah zu platzen.
»Wenn du es genau wissen willst: Ich habe schon einige Männer in meinem Leben gehabt, mal was Ernsthaftes, mal weniger. Man muss doch vergleichen können. Macht man ja auch beim Einkaufen, warum also nicht auch bei den wirklich wichtigen Dingen?«
Karin van Almsick brauchte tatsächlich ein paar Sekunden, ehe sie den Mund wieder schließen konnte.
Ein Mädel vom Lande. Kam aus Wriezen oder so. Schien jedenfalls schockiert zu sein von den Berliner Sitten. Oder vom Berliner Sittenverfall, so würde sie das wohl eher nennen.
Karin stand auf. »Ich koch uns mal neuen Tee«, sagte sie und lächelte, aber ihr war anzusehen, dass sie froh war, der Kollegin für eine Weile zu entkommen.
Charly schaute ihr hinterher. Besser gleich die Pflöcke einschlagen, dachte sie, als später immer wieder um den heißen Brei herumreden zu müssen.
Karin van Almsick kehrte schneller aus der Teeküche zurück als gedacht. Die Tür flog auf, und sie stand wieder im Büro. Ohne Teekanne, dafür außer Atem. Und irgendwie kreidebleich.
»Da draußen ist jemand«, sagte sie.
»Und?«, fragte Charly.
Karin van Almsick atmete schwer und machte den Eindruck, als sei ihr da draußen gerade der Leibhaftige begegnet.
»Ein Neger«, sagte sie schließlich, »Charly, da … da draußen steht ein Neger, der dich sprechen will!«
95
R ath hielt es nicht aus, still zu sitzen und zu warten, aber es blieb ihm nichts anderes übrig. Was für eine Schnapsidee, jetzt zu Gennat zu gehen! Er hätte sich denken können, dass er nicht gleich durchgewinkt würde. Aber Denken war im Moment auch genau sein Problem, klar denken jedenfalls. Er hatte nicht gedacht, er hatte geklopft und gefragt, Trudchen Steiner hatte ihn gebeten, noch einen Moment Platz zu nehmen, und so saß er jetzt da und konnte nicht mehr weg.
Obwohl er eine innere Unruhe spürte, die ihm das Stillsitzen zur Qual werden ließ. Er konnte sich tausend andere Dinge vorstellen, als hier zu sitzen und auf eine Audienz bei Gennat zu warten. Aber vielleicht war es auch besser, dass er diese Dinge jetzt nicht tun konnte.
Zum Beispiel in ihr Büro zu stürmen, zu ihrem Schreibtisch und sie zu fragen.
Mit wem zum Teufel sie sich zum Mittagessen verabredete, wenn er ihr mal einen Korb gab!
Er hatte nach der Unterredung mit Marlow nur einen Happen essen wollen, bevor er zurück in die Burg ging, eine Boulette auf die Hand. Er hätte nie damit gerechnet, sie bei Aschinger anzutreffen, sonst wäre er woanders hingegangen. Unwillkürlich hatte er Deckung hinter einer dicken Frau in der Warteschlange gesucht, das schlechte Gewissen nach einem Treffen mit Johann Marlow funktionierte wie ein Automat.
Und dann erst hatte er gesehen, dass sie nicht allein an ihrem Tisch saß, direkt am Fenster. Ausgerechnet bei Aschinger, wo das halbe Präsidium sich sein Mittagessen holte. Saß da wie auf dem Präsentierteller.
Fräulein Charlotte Ritter, frisch verlobt mit Herrn Gereon Rath, wie die meisten Kollegen seit heute wussten, saß da ohne ihren Verlobten beim Mittagessen. Dennoch nicht allein.
Saß da mit einem Neger.
Mit einem Neger, der gerade seine blendend weißen Zähne sehen ließ, als Rath hinüberschielte. Und Charly lachte über das, was der Mann gerade gesagt hatte, und war so sehr auf ihr Gegenüber fixiert, dass sie ihn in der Warteschlange gar nicht bemerkt hatte.
Seine erste Regung, hinüberzugehen und diesem Mann eine gepfefferte Ohrfeige zu verpassen, hatte Rath unterdrückt, er hatte den Rückzug angetreten.
Wäre er nicht gerade von einem Gespräch mit Johann Marlow gekommen, von dessen gutem Draht zur Berliner Polizei Charly niemals etwas wissen durfte, vor allem weil dieser gute Draht den Namen Gereon Rath trug, er hätte sie zur Rede gestellt. Und diesen Neger aus dem Lokal geprügelt.
Vielleicht war es besser, dass er das nicht gemacht hatte. Aber besser gefühlt hätte er sich danach. Vielleicht.
Was war das für ein Kerl? Warum traf sie sich mit ihm? Und warum, vor allem, hatte sie ihm noch nie etwas erzählt von einem Neger in ihrem Bekanntenkreis? Wie ein Jurist jedenfalls hatte der nicht ausgesehen.
Er starrte auf das Hindenburgporträt in Gennats Vorzimmer und versuchte, auf andere Gedanken zu kommen, aber immer wieder schwirrten dieselben Bilder durch seinen Kopf. Charly sitzt da mit einem Neger und
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