Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition)
ihm böse Blicke zu, wussten ohne ihren Rottenführer aber nicht, ob sie sich prügeln sollten oder nicht.
»Berliner dürfen hier nicht wählen«, sagte einer, als Rath an ihnen vorbei in das Gebäude gehen wollte.
»Wer will denn schon wählen in diesen Zeiten, wenn solche Gestalten wie euer Führer sich zur Wahl stellen?«
Bevor der braune Junge etwas antworten konnte, war Rath im Wahllokal verschwunden. Die Treuburger erledigten brav und sonntäglich herausgeputzt ihre vaterländische Pflicht. Gustav Wengler war nirgends zu sehen. Einer der Wahlhelfer, bei denen er nachfragte, konnte ihm auch nicht weiterhelfen.
»Der Herr Direktor hat bereits gewählt«, sagte der Mann. Mehr wusste er nicht.
Als Rath wieder nach draußen kam, stand da Klaus Fabeck bei seinen Getreuen und stellte sich ihm in den Weg.
»Ach, der Wichtigtuer aus Berlin«, sagte er. »SA – Mann Brandt meldet mir gerade, dass Sie den Führer beleidigt haben …«
»Habe ich das?« Rath zündete sich eine Zigarette an. »Na, mein Führer ist es nicht, da muss ich ja nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen. Tut mir leid, wenn ich eure zarten Gefühle für den Mann verletzt habe. Hab vergessen, dass ihr alle schwul seid.«
Fabeck gab sich große Mühe, verächtlich zu gucken. »Sie haben Glück, dass heute Wahltag ist, Herr Kommissar. Aber wenn wir die Wahlen erst mal gewonnen haben, passen Sie besser auf! Solche wie Sie sind die Ersten, die über die Klinge springen!«
»Solche wie ich?«
»Solche, die sich über den Führer lustig machen. Wenn Adolf Hitler erst mal an der Spitze des deutschen Volkes steht, dann werden nur die richtigen Deutschen …«
»Reichspräsident ist er ja nun schon mal nicht geworden, euer Führer«, unterbrach Rath den pathetischen Ausbruch des SA – Jünglings. »Vielleicht sollte er langsam mal wieder nach Hause gehen, der Herr Hitler, nach Österreich. Vor ’nem halben Jahr war er doch noch nicht mal deutscher Staatsbürger, und so einer will uns sagen, was ein richtiger Deutscher ist?«
Fabeck war kurz davor, Rath anzufallen, doch zwei seiner Begleiter hielten ihn fest.
»Lass den, Klaus«, sagte einer, »das ist ein Bulle. Der will dich nur provozieren, damit er dich einsperren kann.«
»Schlaue Freunde hast du«, sagte Rath und lüftete den Hut. »Wünsche noch einen schönen Tag.«
Er schaute zu, dass er die Entfernung zwischen sich und den SA – Jungs zügig vergrößerte, ohne dabei einen eiligen Eindruck zu machen. Innerlich hatte er die Fäuste hochgenommen, bereit, sofort zuzuschlagen, sollte ihn jemand von hinten anfallen.
Aber nichts passierte.
Vor dem Kronprinzen traf er Karl Rammoser, der auf der Terrasse saß, an einem schattigen Tisch. Der Lehrer war überrascht.
»Herr Kommissar! Sie hier?«
»Komme wohl doch nicht los vom schönen Masuren.«
»Wird denn in Berlin nicht auch gewählt?«
»Habe leider Wichtigeres zu tun. Ich suche Gustav Wengler.«
Rammoser überlegte. »Vor ’ner Stunde oder so habe ich den noch gesehen. Kam gerade aus dem Wahllokal. Hat ein paar Worte mit den SA – Leuten gewechselt und ist dann in seinen Wagen gestiegen.«
»Nach Hause gefahren ist er nicht. Auf der Luisenhöhe war ich schon.«
»Ich nehme an, er fährt ein bisschen über Land. Wenn er ohne Chauffeur unterwegs ist, macht er das schon mal, fährt einfach so durch die Gegend, zu irgendeinem See, zu irgendeinem Wald.«
»Ist ja auch eine schöne Landschaft hier.«
»Sie sagen es. Nur hat nicht jeder hier einen Mercedes, um sie zu genießen.«
»In einem Buick geht das auch.« Rath zeigte auf seinen Wagen, der etwas unterhalb am Straßenrand stand. »Soll ich Sie nach Hause fahren? Ich bin diesmal motorisiert.«
»Ihr Angebot kommt zu früh. Bin hier zum Essen verabredet.«
»Na dann …« Rath tippte zum Abschied an den Hut.
Er fragte sich, wie lange er seinen Buick auf dem Treuburger Marktplatz stehen lassen konnte, ohne dass die SA ihm die Reifen zerstach. War schon auffällig, der Wagen. Der einzige mit IA – Kennzeichen weit und breit, alle anderen Autos trugen das ostpreußische IC. Sogar die Berliner Touristenfamilie war pünktlich zur Wahl wieder nach Hause gefahren.
Er stieg in den Wagen und überlegte, wo Polakowski sich in Treuburg versteckt haben könnte. Überall und nirgends. Er hatte keine Ahnung. Seine Reise nach Treuburg war schon eine Schnapsidee. Und doch wusste er, dass Polakowski hier irgendwo wartete. Auf die Gelegenheit wartete, seine Rache zu vollenden.
Er
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