Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition)
beruhigte sich: Wenn Wengler in seinem Mercedes unterwegs war, dann war er vorerst auch nicht in Gefahr. Ob er allerdings auf der Luisenhöhe sicher war, das war eine ganz andere Frage.
Wenigstens hatte Rath die Spur des Mannes wiederaufgenommen, der den Kollegen in Danzig durch die Lappen gegangen war. Das sollte Böhm doch milde stimmen. Er startete den Wagen und fuhr los. Ohne Ziel. Vielleicht sollte auch er einfach ein bisschen durch die Gegend fahren und die schöne Landschaft genießen, vielleicht würde er Wenglers weinrotem Mercedes irgendwo begegnen. In dieser Gegend fiel so ein Wagen doch sehr auf.
Auf der Legabrücke an der Stadtmühle flatterte etwas im Wind.
Rath bremste, fuhr ein paar Meter zurück und schaute aus dem Seitenfenster.
Ein rotes Taschentuch, festgeknotet am Brückengeländer.
Er fuhr rechts ran und stieg aus, trat näher und untersuchte das Tuch.
Er hatte keinerlei Zweifel: ein Taschentuch derselben Sorte, wie sie es auch im Aufzug von Haus Vaterland gefunden hatten. Im Verkehrsturm am Potsdamer Platz. In Wittenberge und in Dortmund.
Rath fürchtete schon das Schlimmste und schaute über das Geländer, suchte das seichte Wasser der Lega nach einer Leiche ab. Nichts.
Er atmete auf. Dennoch stieg er hinunter zum Fluss und schaute auch unter der Brücke nach. Erst als er ganz sicher war, dass hier nirgends ein Toter lag, stieg er wieder nach oben auf die Straße und untersuchte das rote Tuch.
Trocken. Nicht nass, nicht einmal klamm.
Er fragte sich, was das zu bedeuten hatte.
Und dann dämmerte ihm plötzlich, dass auch die roten Tücher ein Zeichen für Polakowskis Opfer gewesen waren, nicht nur Werkzeug für die Wasserfolter. Die Tücher zitierten das Signal, das Anna von Mathée in den Tod gelockt hatte. Und Jakub Polakowski ins Verderben.
Rath stieg in den Buick und fuhr nach Markowsken raus. Ohne zu tanken. Für die paar Kilometer reichte das Benzin noch; er musste sich beeilen, er wollte nicht zu spät kommen; die Wahrscheinlichkeit, dass Wengler dieses Zeichen auch gesehen hatte, war groß. Er brauchte nicht lang, zwei Pferdewagen auf der Strecke musste er überholen, ansonsten hatte er freie Fahrt bis Markowsken.
Seine Ahnung hatte ihn nicht getrogen. Wenglers roter Mercedes parkte am Waldrand hinter dem Dorf.
Gustav Wengler wollte den Mann loswerden. Einen Mitwisser, der seine Legende bedrohte, einer, der wie Maria Cofalka wusste, dass der Herr der Luisenhöhe seine Macht auf Lügen gründete und auf Heuchelei. Ob der Direktor glaubte, Polakowski überlegen zu sein? Das hatten Herbert Lamkau und Siegbert Wengler auch gedacht. Doch wenn Polakowski seine Spritze einmal gesetzt hatte, war es mit jeglichem Widerstand vorbei. Ob Wengler das wusste? Wie weit hatten sie ihn in Berlin in den genauen Tatablauf beim Tod seines Bruders eingeweiht?
Rath passierte den Mercedes und fuhr so weit in den Wald hinein, wie es eben ging, bis aus dem Weg ein Trampelpfad geworden war. Er stellte den Buick ab und lief. Er wusste nicht, wie weit es noch war, er war sich nicht einmal sicher, ob er sich nicht wieder verlaufen würde, ohne Adamek und dessen Ortskenntnis, doch er lief weiter und dann sah er das Wasser plötzlich durch die Bäume blitzen.
Einen Moment überlegte er, laut zu rufen, sollte Polakowski wirklich hier sein, um ihm die Sinnlosigkeit seines Unterfangens vor Augen zu führen, doch damit wäre der Mann auch gewarnt, und er würde ihn niemals erwischen. Und er wollte ihn erwischen. Nicht nur, weil der Mann ein Mörder war, ein mehrfacher Mörder, nein, auch und vor allem, um endlich einen tragfähigen Belastungszeugen gegen Gustav Wengler zu haben, einen Zeugen, der noch lebte.
Er arbeitete sich weiter durch den Wald, bis er das Wasser des kleinen Sees sehen konnte.
Er kam zu spät.
Er erkannte den Mann sofort. Im seichten Wasser sah er ihn stehen, den Mann, den er in Berlin schon einmal gesehen hatte, von dem er geglaubt hatte, dass er Hartmut Janke hieß und der doch in Wirklichkeit Jakub Polakowski war, der Mann, dem Wengler die Liebe seines Lebens genommen hatte. Der ihn für diesen Mord sogar noch in den Knast gebracht hatte.
Polakowski stand im Uferwasser über dem leblosen Körper von Gustav Wengler. Dessen Kopf war unter Wasser, aber jetzt holte Polakowski ihn wieder hoch. Wengler schnappte nach Luft, aber nicht so hektisch wie jemand, der fürchtet zu ertrinken. Die Wirkung des Tubocurarin, vermutete Rath. Polakowski bewegte den Mund, er schien mit Wengler zu
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