Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition)
selbst nachschauen. Vielleicht hatte Lamkau das Buch ja gut versteckt, vielleicht hatte er es längst weggeworfen, wenn er schlau gewesen war. Aber allzu viel Intelligenz traute er dem Mann nicht zu. Wäre er intelligenter gewesen, hätte er die Sache überlebt. Die Sache, von der sie immer noch nicht genau wussten, um was es sich eigentlich handelte. Obwohl die Todesanzeigen eine deutliche Sprache sprachen. Sie verrieten, dass da einer Bescheid wusste. Aber nicht, wer da Bescheid wusste.
Es tat sich etwas auf der anderen Straßenseite. Die Bullen kehrten zurück zu ihrem Opel. Bepackt mit Kartons. Das hatte er befürchtet, sie nahmen einfach alles mit, um die Sachen am Alex in aller Ruhe durcharbeiten zu können.
»Soll sich der liebe Kommissar Rath diesen Mist doch selbst anschauen«, hörte er einen der beiden sagen. »Sind wir etwa Buchhalter?«
»Genau dafür hat uns die Witwe Lamkau gehalten. Ich hatte den Eindruck, die hat von uns erwartet, dass wir ihren Papierkram in Ordnung bringen.«
»Tja, wie man sich irren kann.«
Die Männer wuchteten die Kartons ins Auto, begleitet vom Bellen des großen Köters, den Lamkau sich angeschafft hatte nach Wawerkas Tod, und gingen ins Gebäude zurück. Einen Moment war er versucht, hinüberzugehen und hineinzuschauen, aber der Wagen parkte auf dem Hof neben den Lieferwagen, man konnte ihn vom Büro aus sehen, und die Töle würde auch Alarm schlagen. So blieb er lieber da stehen, wo er war, im Schatten einer Litfaßsäule. Zweimal noch kamen die Männer aus dem Büro und luden Kartons ins Auto, dann fuhren sie endlich ab.
Er überlegte einen Moment, ob er noch hineingehen sollte zu der Witwe, auch wenn das jetzt wohl überflüssig war. Aber immerhin waren die beiden Beamten so freundlich gewesen, ihm mitzuteilen, wohin sie die Unterlagen brachten.
10
E rika Voss wartete nur noch darauf, sich in den Feierabend verabschieden zu können. Was Lange und Gräf bereits getan hatten. Die Schreibtische der Kollegen waren verwaist, wie Rath durch die geöffnete Tür sehen konnte, im Büro stapelten sich stattdessen rund ein Dutzend Kartons mit Aktenordnern.
»Kriminalsekretär Gräf lässt ausrichten, dass die Durchsicht der Firmenbücher Lamkau schwieriger war als erwartet«, erklärte die Sekretärin, die bereits im Mantel am Schreibtisch saß. »Die Kollegen haben daher einige Papiere konfisziert.«
Rath nickte und hängte seinen Hut auf. Kirie tapste heran und beschnupperte seine Hände.
»Und dann hat da vorhin noch eine Dame angerufen«, fuhr die Voss fort und schaute auf einen Zettel. »Von der Inspektion G.«
»Aha«, sagte Rath, betont beiläufig, während er den Hund begrüßte. »In welcher Angelegenheit?«
»Das hat die Dame nicht gesagt. Sie wollte sich noch mal melden.«
»Gibt’s Neuigkeiten vom ED?«
»Leider nein. Herr Kronberg sagt, morgen gibt es den kompletten Bericht.«
Und damit verschwand Erika Voss aus dem Büro. Rath schaute ihr nach. Normalerweise hätte er sie begleitet, sie vielleicht sogar nach Hause gefahren, aber heute verspürte er keine Lust auf Feierabend. Die Aussicht auf seine gähnend leere, viel zu große Wohnung konnte ihn nicht locken, schreckte ihn eher ab.
Er ging hinüber ins Büro und hievte einen der Kartons auf seinen Schreibtisch. Sah nicht nach Geschäftsunterlagen aus; der übereifrige Gräf schien auch den Privatschreibtisch von Herbert Lamkau ausgeräumt zu haben. Oder der übereifrige Lange. Kirie tapste heran und ließ sich den Kopf kraulen, während Rath sich den Inhalt des Kartons anschaute. Ein paar Briefe, ein Reisepass mit ein paar Auslandsstempeln. Hauptsächlich Polen und die Freie Stadt Danzig. Eine schwarze Kladde, in der endlose Zahlenkolonnen eingetragen waren, aus denen er nicht schlau wurde. Und ganz unten ein Stapel Zeitungen. Alkohol lautete der Titel, Allgemeine Zeitschrift für die Praxis der Spiritus-, Kornbranntwein- und Pressehefen-Industrie. Offizielles Organ des Deutschen Brennereibeamten-Bundes . Ein anderes Blatt war die Zeitschrift für Spiritusindustrie, Organ des Vereins der Spiritus-Fabrikanten in Deutschland . Rath schüttelte den Kopf. Was es nicht alles gab in Deutschland! Für jeden Fachidioten die passende Fachzeitschrift.
In den übrigen Kartons schien nichts Privates mehr zu sein, die waren alle randvoll mit Aktenordnern. Ein Blick zeigte Rath, dass das nicht nur die letzten Monate waren, die die Kollegen eingesammelt hatten, das waren gleich ein paar Geschäftsjahre. Die Witwe
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