Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition)
ruhig hier oben, keine Menschenseele auf dem Gang unterwegs, keine Schreibmaschine klapperte mehr. Er musste eine ganze Reihe Türen und Namen passieren, las sogar den des berühmten Gennat, der immer mal wieder in der Zeitung stand, bis er endlich den Namen fand, nach dem er suchte.
Kriminalkommissar Gereon Rath.
Er befühlte die Sperrhaken in seiner Tasche, die hatte er in Kreuzberg noch holen müssen, bevor er zum Alex gefahren war.
Er blieb stehen und schaute sich um. Der Gang war immer noch leer. Er horchte an der Tür. Stille. Weder Schreibmaschinengeklapper zu hören noch Stimmen.
Da sah er aus dem Augenwinkel eine Bewegung, die Glastür hatte sich bewegt und schickte einen kurzen, hellen Reflex in den Gang. Jemand betrat den Trakt der Mordinspektion, eine schlanke junge Frau. Geistesgegenwärtig wandte er sich ab von der Tür und schritt den Gang weiter hinunter, versuchte, nicht zu schnell zu gehen, und widerstand dem Drang, sich umzudrehen. Sie konnte unmöglich bemerkt haben, dass er vor einer Tür gestanden hatte, irgendeine dämliche Sekretärin, die Überstunden schob. Er sah eine Toilettentür und ging hinein. Die Kabinen schienen alle leer zu sein, er öffnete eine, verriegelte und setzte sich auf den Klodeckel. Er horchte in die Stille, hörte einen Wasserhahn tropfen und glaubte auch, eine Tür schließen zu hören. Dann herrschte lange Zeit Stille. Dennoch wartete er noch eine Weile, ehe er sich wieder hinauswagte.
Der Gang war leer. Er hatte keine Ahnung, wessen Sekretärin das gewesen war, er hoffte, nicht die von Kommissar Rath. Nicht dass ausgerechnet der heute Überstunden machte. Aber dann hätten seine Mitarbeiter das Präsidium ja kaum verlassen, pünktlicher als die Maurer.
Niemand reagierte, als er anklopfte, und er wollte schon die Sperrhaken aus der Tasche ziehen, als er bemerkte, dass die Tür gar nicht verschlossen war. Er ließ den Dietrich in die Jackentasche zurückfallen, klopfte noch einmal, und erst als immer noch niemand antwortete, öffnete er die Tür.
Es saß tatsächlich kein Mensch an dem Schreibtisch im Vorzimmer, und er wollte schon weitergehen, da bemerkte er den schwarzen Hund, der ihn anschaute mit schief gelegtem Kopf, wahrscheinlich die ganze Zeit schon angeschaut hatte. Neugierig, ohne Falsch, ohne Knurren oder Zähnefletschen. Dennoch entschied er sich für einen geordneten Rückzug und merkte gleich darauf, dass das die richtige Entscheidung war, denn noch bevor er die Tür wieder geschlossen hatte, bellte die blöde Töle. Zweimal nur und kurz, aber unendlich laut, wie er fand.
Er schaute sich um, doch auch in der Zwischenzeit war niemand auf den Gang getreten. Bis auf den Spätdienst waren jetzt alle im Feierabend. Bis auf den Spätdienst und die Idioten, die Überstunden schoben. Wie dieser dämliche Kommissar Rath.
Verdammtes Glück, dass er ihm nicht in die Arme gelaufen war, nur seinem Köter. Und der konnte nicht reden.
Der Zwischenfall hatte ihm den Schweiß auf die Stirn getrieben. Für den Weg hinaus nahm er das Treppenhaus am anderen Ende des Ganges, um nicht wieder die ganze Mordinspektion durchqueren zu müssen.
Na, eines wenigstens hatte ihm die Sache gebracht: Er wusste jetzt, wo er suchen musste.
12
D u hast mir immer noch keine Antwort gegeben«, sagte Rath, als sie sich, wieder halbwegs anständig gekleidet, eine Overstolz teilten. »Oder war das gerade eine?«
Er zog die Vorhänge zurück und ließ wieder Tageslicht ins Büro. Er wusste nicht, wie lange sie da gelegen hatten, auf seinem Überstunden-Canapé, Haut an Haut und eng umschlungen, außer Puste und einfach vor sich hin träumend. Kirie hatte ein-, zweimal kurz gebellt, und dieses Bellen hatte sie zurückgeholt in die Realität, ihn daran erinnert, dass da draußen ein Hund auf ihn wartete und andere Dinge, und sie hatten sich wieder angekleidet.
»Du hast mich verführt, du Schuft«, sagte sie und nahm einen Zug von der Zigarette.
»Wenn ich ganz ehrlich bin, hatte ich eher das Gefühl, du hast mich verführt.«
»Na, dann sind eben wir beide schuld.«
»Einverstanden, Euer Ehren.«
»Und? Deine Antwort?«
Sie inhalierte noch einmal und gab ihm die Overstolz zurück. »Nicht jetzt«, sagte sie. »Und nicht hier.«
»Ich kenne ein nettes Restaurant in der Friedrichstadt.«
Er hatte tatsächlich einen Bärenhunger.
»Gereon«, sagte sie, »nicht jetzt.«
»Wann denn?«
»Demnächst. Ich habe jetzt keine Zeit.«
Er schaute auf die Uhr. »Ist neun Uhr demnächst
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