Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition)
fort, »sind Sie wichtiger Zeuge in einem Mordfall …«
»Mord?«
»… und mangelnde Kooperationsbereitschaft kann einen Zeugen schnell zum Tatverdächtigen werden lassen.«
»Aber Herr Kommissar, ich habe Ihnen doch schon erklärt, die Arbeit …«
Unger zeigte aus dem Sichtfenster, einen Anflug von Verzweiflung im Blick.
»Ich wollte diese Tatsachen auch nur klarstellen. Sie haben also ein wenig Zeit für mich?«
»Selbstverständlich.«
Rath zündete erst einmal eine Overstolz an, bevor er sein Notizbuch aus der Tasche zog. Während er die Bleistiftspitze überprüfte, stellte er die erste Frage. »Sie haben Herrn Lamkau also gefunden …«
»Das habe ich Ihrem Kollegen doch alles schon gesagt.«
»Mir aber noch nicht.«
»Ich hab mich zu Tode erschrocken, wie er da lag und ich beinah auf ihn draufgefallen wäre. In die Kabine rein. Konnte mich gerade noch festhalten.«
»Was wollten Sie denn bei den Aufzügen?«
»Wie?«
»Warum haben Sie den Knopf gedrückt?«
»Warum wohl? Wollte was von unten holen.«
»Und was?«
»Wat weeß icke? Wird wohl was zu essen gewesen sein.«
Unger lachte über seinen Scherz, verstummte aber schnell wieder, als er Raths ernste Miene sah.
»Sind die Kühlräume und Lager nicht alle hier oben?«
»Die meisten, aber nicht alle.«
»Aber so oft müssen Sie doch nicht nach unten, um Ware zu holen, oder? Das würde den Betrieb doch gewaltig aufhalten.«
Unger schaute verunsichert. »Worauf wollen Sie hinaus?«, fragte er. »Was interessiert denn das im Zusammenhang mit einem Mordfall?«
»Das lassen Sie mal meine Sorge sein. Sie wollten also Ware holen und haben vergessen, welche?«
»Hab ich ja auch nicht mehr holen können, als Ihre Leute kamen. Die haben doch den ganzen Betrieb aufgehalten. Stundenlang.«
Rath schwieg und machte eine längere Notiz. Nicht, weil er viel zu schreiben hätte, aber manchmal war es hilfreich in einer Vernehmung, sein Gegenüber etwas zu verunsichern. Unger hatte ohnehin schon die ganze Zeit auf seinem Stuhl hin und her gezappelt, konnte seine Beine keine Sekunde ruhig halten. Immer wieder reckte er den Hals und schaute aus dem großen Fenster in die Küche, und das, was er da sah, schien ihn noch nervöser zu machen. Rath wollte gerade die nächste Frage stellen, da sprang der Chefkoch auf, öffnete die Tür und brüllte ein ganzes Bündel von Anweisungen in die Küche.
»Friedhelm! Der Schmorbraten muss aus dem Ofen, verdammt! Und Carsten, wenn du nicht bald mit dem Hühnerragout fertig bist, dann mach ich dir höchstpersönlich Feuer unterm Hintern! Und was ist mit dem Kartoffelbrei? Wird das heute noch was? In gut einer Stunde werden unten die ersten Abendessen bestellt! Dalli, dalli, na los!«
»Im Haus Vaterland ist man gründlich, hier gewittert’s stündlich«, murmelte Rath und zog an seiner Zigarette.
»Haben Sie was gesagt?«, fragte Unger, als er die Tür wieder geschlossen hatte und an seinen Schreibtisch zurückkehrte.
»Herr Lamkau …«, Rath räusperte sich, »… kannten Sie den Mann persönlich?«
»Den Spirituosenlieferanten? Warum sollte ich? Ich bin Koch!«
»War nur eine Frage, Herr Unger.«
»Natürlich.«
Wieder schielte der dünne Mann durch das Fenster. Rath war sich nicht sicher, ob das unbeaufsichtigte Treiben in der Küche ihn so unruhig machte oder ob es die Gesprächssituation war.
»Kennen Sie jemanden hier im Hause, der mit Herrn Lamkau bekannt war?«
»Nee.« Der Koch schüttelte seinen mageren Kopf.
»Herrn Riedel vielleicht?«
»Wer ist das?«
»Ein Kollege. Spirituoseneinkäufer bei Kempinski.«
»Ach, der.«
Rath machte noch eine Notiz, was den Koch sichtlich irritierte. Dann erst fragte er weiter.
»Es soll Schwierigkeiten gegeben haben mit einer Spirituosenlieferung …«
»Mit Lieferanten gibt’s immer mal wieder Schwierigkeiten. Aber Spirituosen setzen wir nicht so oft ein in der Küche. Manchmal zum Abschmecken, manchmal zum Flambieren.«
»Waren Sie denn nicht darüber informiert? Luisenbrand. Eine ganze Marge war gepanscht.«
»Stimmt. Hab so was läuten hören. Aber Kornbrand brauchen wir in der Küche gar nicht.«
Unger schielte immer wieder aus dem Fenster, während er sprach, er schien nicht richtig bei der Sache zu sein. Und plötzlich sprang er auf, wie von der Tarantel gestochen, und lief zur Tür.
»Wie sieht das denn aus? Das kann man doch niemandem anbieten!« Der Koch brüllte einen bemitleidenswerten Menschen an, der gerade eine riesige Platte
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