Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition)
Lamkau dürfte nicht begeistert sein.
Er wollte sich gerade eine Zigarette anzünden, um sich die Akten jüngeren Datums anzuschauen, da klopfte es zaghaft an der Tür. Kirie sprang sofort auf und spitzte die Ohren.
Rath wunderte sich. Ob das der Kollege Kronberg war, der doch noch mit ein paar Erkenntnissen vom ED rausrückte? Auch Kronberg neigte seit ein paar Monaten zu ungefragten Überstunden. Seit dem Tod seiner Frau.
»Ja, bitte«, sagte Rath, als sich nichts tat.
Die Tür öffnete sich langsam, und eine junge Frau schob sich in das Vorzimmer. Kirie lief sofort hinüber zu ihr.
»Kriminalrat Gennat schickt mich, Herr Kommissar.«
Rath glaubte, seinen Augen nicht zu trauen. Da stand sie und schaute zu Boden wie eine Klosterschülerin. Vielleicht nur, um ihr Grinsen zu verbergen.
»Eigentlich«, fuhr die Klosterschülerin fort, »sollte ich mich erst morgen früh bei Ihnen melden, aber ich dachte, ich stelle mich schon mal vor. Damit Sie morgen nicht erschrecken.«
Er konnte nichts dagegen tun, im selben Augenblick, da er sie erkannt hatte, spürte er ein Kribbeln zwischen den Beinen.
»Treten Sie doch näher und lassen sich anschauen. Die Kollegen sind leider alle schon im Feierabend.«
»Leider?«
Sie gehorchte, schloss die Tür und kam näher, die Augen immer noch auf den Boden gerichtet. Er fasste ihr Kinn mit einer sanften Bewegung und drehte ihren Kopf langsam ein kleines Stück nach oben, so weit, bis sie ihm endlich in die Augen schaute.
Und dann küsste er sie und spürte, wie sie seinen Kuss erwiderte.
»Aber Herr Kommissar«, sagte sie.
Dass sie immer noch nicht aus der Rolle fiel, erregte ihn noch mehr.
»Kommen Sie doch bitte mit nach hinten in mein Büro«, sagte er streng und beobachtete sie einen Moment, bevor er ihr folgte. Er scheuchte Kirie, die ebenfalls folgen wollte, ins Vorzimmer. Der Hund legte sich beleidigt ins Körbchen.
Rath betrat das Büro und schloss die Tür.
Sie schauten sich an.
Sie schien seine Gedanken lesen zu können.
»Aber das geht doch nicht«, sagte sie, noch bevor er sich zu ihr hinüberbeugte und sie auf den Nacken küsste, auf die Stelle, die sie immer schwach machte, und es war ihrem heftigen Atem anzuhören, dass sie selbst nicht an ihren Protest glaubte. »Doch nicht hier!«
»Sie sind Kommissaranwärterin, Fräulein Ritter, und wie es aussieht, bin ich derzeit Ihr Ausbilder.«
Sie seufzte, als er sie wieder küsste. »Gereon, hör auf!«
Er drehte sie um und schaute sie an. »Ich bin dein Vorgesetzter, also tu ein einziges Mal, was ich sage! Wenigstens im Büro!«
»Zu Befehl, Herr Kommissar!«
»In der oberen Schreibtischschublade liegt ein Schlüssel. Hol den bitte heraus und schließ die Tür ab. Für alle Fälle.«
Sie tat wie geheißen. »Und nun, Herr Kommissar?«
Er hatte die Vorhänge schon vors Fenster gezogen, nun ging er zu ihr hinüber und knöpfte ihre Bluse mit vorsichtigen Bewegungen auf, er küsste die weiche Haut über ihrem Schlüsselbein, arbeitete sich dann langsam, Knopf für Knopf nach unten. Charly atmete schwer und seufzte.
»Das hatte ich fast schon vergessen«, sagte sie, »du bist ein Lustverzögerer.«
»Nur bis zu einem bestimmten Moment«, sagte Rath.
Er betrachtete sie, wie sie da vor ihm stand.
Und beschloss, dass jener Moment genau jetzt erreicht sei.
11
E r stand vor dem Polizeipräsidium und schaute nach oben. Wo die Büros der Mordinspektion lagen, das wusste er ungefähr, er war vor Jahren schon ein paarmal dort gewesen. Ein ganzer Haufen Beamter verließ das Gebäude, die Tagschicht musste zu Ende sein. Er hatte sich im Schatten der Stadtbahnbögen gehalten und gewartet, bis die beiden Männer herausgekommen waren.
Im Gewimmel am Alexanderplatz fiel er nicht weiter auf, und er war sich sicher, dass sie ihn nicht wiedererkannt hatten; wahrscheinlich hatten sie ihn unter all den Menschen nicht einmal wahrgenommen.
Er hatte noch eine Zigarettenlänge gewartet, bevor er seinen Beobachtungsposten verließ. Er wusste, wie man ins Präsidium gelangte, ohne einen Pförtner passieren zu müssen. Im Lichthof gab es keine Aufpasser bis auf die zwei Uniformierten an der Toreinfahrt. Man musste nur freundlich grüßen und sich so benehmen, als habe man hier etwas zu tun, dann fiel man gar nicht weiter auf. Zielstrebig steuerte er das Treppenhaus an und stieg die steinernen Stufen empor, bis zur ersten Etage, bis er vor der Glastür stand, auf der in großen Lettern MORDINSPEKTION geschrieben war.
Es war
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