Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition)
Fahrstuhl. Unwillkürlich musste Rath an den Lastenaufzug von Haus Vaterland denken und an Herbert Lamkaus tote Augen, als sie in die Kabine stiegen.
Der Fahrstuhl führte hinauf in einen riesigen Ballsaal mit umlaufender Empore; nachgemachtes Rokoko mit viel Gold und Glitzer, das genaue Gegenprogramm zur modernen Fassade. Ein weiterer Fünfer sorgte dafür, dass sie einen Tisch ganz vorn bekamen und einen außerordentlich zuvorkommenden Kellner. Rath war froh, als sie endlich saßen, so langsam ging ihm das Kleingeld aus.
Zu den Klängen der Jazzband, die ein wenig steif wirkte, aber fehlerfrei spielte, bewegten sich die ersten Tanzpaare auf dem Parkett. Rath bestellte Champagner für den Beginn, Charly studierte bereits die Speisekarte. Sie schien hungrig zu sein. Er beobachtete sie, wie ihre Augen größer wurden und sie leise durch die Zähne pfiff. »Das sind ja Preise!«, sagte sie und legte die Karte beiseite.
»Ist ja auch ein besonderer Abend.«
Sie warf ihm einen Blick zu, aus dem er nicht schlau wurde. Mit einem Mal spürte er wieder diese große Unsicherheit, die ihn in den letzten Tagen schon gequält hatte.
Der Champagner kam, und sie stießen an.
»Auf was trinken wir?«, fragte er. »Auf uns?«
»Erst einmal auf den heutigen Abend und dein hoffentlich gut gefülltes Portemonnaie«, sagte Charly und zeigte ihr Grübchenlächeln, bevor sie trank, und da wusste Rath, dass sie sich längst entschieden hatte, dass ihre Antwort aber dennoch komplizierter sein würde als ein einfaches Ja.
Sie schwiegen eine Weile und schauten in die Speisekarten.
»Du willst mich also heiraten«, sagte sie schließlich und fingerte die Juno aus ihrer Handtasche, einen Nachhall ihres Lächelns immer noch im Gesicht. »Weißt du denn überhaupt, auf was du dich da einlässt?«
»Ich glaube schon«, sagte er und klappte sein Zigarettenetui auf, »wir haben schließlich lang genug geübt.«
»Zu einer Ehe gehört aber mehr als nur die ehelichen Pflichten«, raunte sie über den Tisch.
»Wenn du so weiterredest«, raunte er zurück, »dann falle ich noch hier, mitten im Saal, über dich her!«
»Im Ernst, Gereon. Wie stellst du dir unseren Alltag vor?«
Nun ging es also los. Da waren sie, die komplizierten Charly-Fragen. Er hatte damit gerechnet, natürlich, dennoch hatte er keine richtige Antwort parat. Wie sollte er auch? Er stellte sich seinen Alltag nicht vor und auch nicht seine Zukunft, er wollte beides einfach leben. Und zwar mit ihr.
»Wie im Märchen«, sagte er und malte die Zeile mit der Zigarette in die Luft, die er gerade aus dem Etui geklaubt hatte: »Und sie wurden glücklich bis an ihr Lebensende.« Er hielt sein Feuerzeug erst an ihre Juno, dann an seine Overstolz. »Und du«, fragte er, »wie würdest du dir unseren Alltag vorstellen?«
Charlys Antwort kam prompt. »Jedenfalls nicht so, dass ich den ganzen Tag in der Küche stehe, mich um unsere hundert Kinder kümmere und darauf warte, dass der Herr vom Dienst nach Hause kommt, um ihm das Essen zu servieren und ihn zu verwöhnen.«
»Das klingt nicht gerade liebevoll«, sagte er. »Und … du hast recht: Ich möchte tatsächlich Kinder mit dir. Vielleicht nicht gerade hundert, aber so eins bis drei …«
Sie musste lachen. »Schau nicht so drein wie ein beleidigter Dackel! Ich wollte damit nicht sagen, dass ich niemals Kinder möchte. Aber nicht jetzt! Ich möchte erst mal im Beruf etwas erreicht haben.«
Der Ober kam und nahm ihre Bestellungen auf. Am Tisch herrschte nicht annähernd die romantische Stimmung, die Rath für diesen Abend erhofft hatte. Irgendwie kam es ihm vor, als verhandelten sie einen Vertrag oder so etwas, und nicht, als ginge es um ihre Liebe und die Entscheidung, den Rest ihres Lebens gemeinsam zu verbringen.
Charly wartete, bis sie wieder ungestört waren. »Versteh mich nicht falsch«, sagte sie, »aber ich weiß, dass es viele Frauen gibt, die arbeiten wollen, denen ihre Männer das aber verbieten. Und zu denen möchte ich nicht gehören.«
»Nun ja, was heißt verbieten? Aber so wenig verdiene ich nun auch wieder nicht, dass du das nötig hättest.«
»Gereon, ich werde so lange arbeiten, wie ich das möchte, und du wirst mich nicht daran hindern! Wenn du mir die Erlaubnis zum Arbeiten verweigern solltest, lasse ich mich auf der Stelle wieder scheiden!«
Er hätte sie umarmen können, wie er sie so da sitzen sah mit ihrem entrüsteten Gesicht. Er hob das Champagnerglas und grinste. »Lass uns darauf
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