Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition)
Tanzfläche herrschte Bewegung wie zuvor, als sei nichts geschehen.
»Vielleicht ist das ja eine Möglichkeit«, sagte Charly.
»Wie?«
»Antisemitismus. Haus Vaterland ist ja schließlich auch ein verdammtes Judenlokal , um bei der Wortwahl dieses liebenswürdigen Gastes zu bleiben.«
»Als Mordmotiv?« Rath zuckte die Achseln. »Ich weiß nicht. Wenn solche Leute über die Juden schimpfen, meinen sie es doch nicht ernst, das ist so, wie sich darüber aufzuregen, dass ein Judenclub deutscher Meister geworden ist oder so, das sind doch nur Redensarten.«
»Das ist Antisemitismus. Ich habe mich auch geärgert, dass Bayern München die Fußballmeisterschaft gewonnen hat und nicht Hertha, aber ich rede nicht von Judenclub.«
»Aber du redest schon wieder über die Arbeit.« Rath grinste. »Man merkt auch, dass du Bulle bist. Dienstantritt ist erst morgen früh.«
»Irgendwie passt das nicht ganz, wenn man zu einer weiblichen Kriminalbeamtin Bulle sagt, oder?«
»Was soll ich sonst sagen? Kuh?«
»Nein. Tiernamen bitte erst nach zehn Jahren Ehe.«
»Wie du willst, mein Hase.«
»Hornochse!«
Rath grinste. »Was wird Gennat wohl mit uns machen, wenn er es erfährt?«, fragte er.
»Was?«
»Unsere Verlobung.«
»Solange die Ermittlungen im Haus Vaterland noch laufen, sollte er es nicht erfahren. Sonst schickt er mich gleich zur Wieking zurück.«
Er nickte. »Aber sobald die Akte Vaterland geschlossen ist, geben wir es bekannt.«
»Das ist ein Wort.« Charly stand auf. »Und nun möchte ich gern tanzen.«
»Noch vor dem Essen? Habe gar nichts gehört von Damenwahl.«
»Du bist jetzt verlobt. Gewöhn dich schon mal daran.«
Und damit streckte sie ihm ihren schlanken Arm entgegen und wartete, bis er sie zur Tanzfläche führte.
14
A uf dem Nebentisch klapperte die Schreibmaschine von Erika Voss, aber das störte sie nicht. Sie musste sich nur beim Telefonieren ein Ohr zuhalten, dann war das kein Problem. Gereon hatte ihr einen Platz im Vorzimmer zugewiesen, bei seiner Sekretärin und bei Kirie, einen Platz am Besuchertisch, einen anderen gab es nicht in seinem kleinen Büro. Der Hund hatte sich darüber mehr gefreut als die Voss, die es dem Tier persönlich übel zu nehmen schien, dass es sich unter dem Tisch der neuen Kollegin zusammenrollte. Gereons Sekretärin hatte sich darüber ebenso gewundert wie über die wilde Begrüßung, die Kirie der Neuen hatte angedeihen lassen, aber sie hatte es achselzuckend akzeptiert. Nur als Charly um das Telefon gebeten hatte, das sie nun einmal für ihre Arbeit brauchte, hatte Erika Voss ein wenig giftig geguckt, den schwarzen Apparat dann aber ohne weiteren Widerstand ausgehändigt.
»Wenn es klingelt, nehmen Sie aber auch die Anrufe an, solange Sie den Apparat haben«, hatte sie gesagt, und Charly hatte versucht, mit nichts als einem entwaffnenden Lächeln zu antworten. Sie war sich immer noch nicht sicher, ob ihr das gelungen war, jedenfalls hatte die Sekretärin seitdem Ruhe gegeben.
Nun saß sie also hier an diesem wackligen Tisch und konnte es immer noch nicht glauben.
Sie arbeitete wieder für die Mordinspektion, wer hätte das gedacht? Sie selbst am allerwenigsten. Eine solche Überstellung kam höchst selten vor, und entsprechend überrascht waren die Blicke der Kollegen ausgefallen, als Charly heute Morgen auf der Besprechung der Inspektion A erschienen war. Sie hatte die Blicke genossen, hatte sich zu ihrer Ermittlungsgruppe gesellt und zugehört.
Zur Ermittlungsgruppe Vaterland .
Ausgerechnet zu Gereon Rath. Öfter schon hatte sie sich gefragt, ob Gennat etwas ahnte vom mehr als dienstlichen Verhältnis seiner ehemaligen Stenotypistin zu seinem Kriminalkommissar. Aber dann hätte er sie wohl nicht zu ihm geschickt. Oder hatte er es gerade deshalb getan?
Jedenfalls hatten weder sie noch Gereon sich etwas anmerken lassen, nicht auf der Sitzung und nicht im Büro. Sie hatten sich gesiezt, wie immer, wenn sie sich in der Burg trafen. Ein seltsames Gefühl, gerade nach dem gestrigen Abend. Und nach der gestrigen Nacht. Sie hatte bei ihm übernachtet, gleichwohl waren sie nicht zusammen zum Alex gefahren. Er hatte den Buick genommen, sie die BVG, sie war rechtzeitig angekommen, er ein wenig zu spät. Und sie hatte ihm ein zweites Mal an diesem Tag einen guten Morgen gewünscht, diesmal per Sie.
Charly musste aufpassen, dass sie nicht durcheinanderkam im Kreis ihrer neuen Kollegen. Reinhold Gräf, den sie schon seit Ewigkeiten kannte, duzte sie, mit
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