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Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition)

Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition)

Titel: Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Kutscher
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Kinder saßen wohl zu Hause bei Muttern am Tisch, selbst die Schafe waren verschwunden. Allein ein Trupp braun uniformierter junger Männer mit Hakenkreuzbinden kam aus dem Wäldchen an der Kirche und marschierte quer über den Platz. In Berlin hatte das Auftreten der Braunhemden immer etwas Bedrohliches, hier, auf dem sonnenbeschienenen Treuburger Marktplatz vor der Kulisse der kleinen hübschen Giebelhäuschen, wirkte es beinahe idyllisch. Als würde es irgendwie dazugehören: die SA auf dem Weg zum Mittagessen, auch sie ein Teil des kleinstädtischen Lebens. Ein Eindruck, der sich verstärkte, als Rath eine blaue Uniform aus einer Gasse kommen sah: Polizeimeister Grigat, der von dem Trupp freundlichst gegrüßt wurde und ebenso freundlich die Handkante an den Schirm seines Tschakos legte.
    In Berlin wäre so etwas undenkbar gewesen, ein Polizeibeamter, der Nazis einen militärischen Gruß entbot. Rath schüttelte den Kopf und drückte die Zigarette auf dem schmiedeeisernen Geländer aus. Er musste an seine Audienz bei Bernhard Weiß denken. Ob Erich Grigat ein Nazi war? Offiziell jedenfalls nicht, sonst hätte der Polizeimeister den Dienst quittieren müssen. Aber mit welchen politischen Ideen ein Beamter sympathisierte, das konnte keine Dienstvorschrift regeln. Auch in Berlin nicht, wo Rath sich mittlerweile bei so manchem Kollegen fragte, ob er nicht das Braunhemd anziehen würde, sobald es ihm nicht mehr verboten wäre.
    Er ging hinein, nahm die Mappe vom Tisch und machte sich auf den Weg nach unten. Grigat hatte bereits Platz genommen, als Rath die Gaststube betrat, und studierte die Karte.
    »Mahlzeit«, sagte der Polizeimeister.
    Rath erwiderte den Gruß und setzte sich, legte die Mappe auf die blütenweiße Tischdecke. »Was können Sie denn so empfehlen? Irgendwelche Spezialitäten?«
    »Wenn Sie unbedingt Königsberger Klopse wollen, wo Sie schon in Ostpreußen sind, oder Buttermilchflinsen und Kümmelfleisch, nur zu: steht alles auf der Karte.« Grigat beugte sich über den Tisch, als verriete er ein Geheimnis. »Ich aber würde Ihnen den Schweinebraten mit Kartoffelklößen empfehlen.«
    »So was kriege ich auch in Berlin.«
    »Aber nicht so gut.«
    Grigat sollte recht behalten. Der Braten, den ein junges Mädchen ihnen nach einer Vorsuppe aus Roten Beten servierte, war wirklich köstlich. Und reichlich.
    »Haben Sie sich schon eingelesen?«, fragte Grigat zwischen zwei Happen und zeigte auf die Mappe.
    »Viel zu lesen war das ja nicht«, sagte Rath. »Mich würde vor allem interessieren, warum die drei Männer Treuburg verlassen haben. Alle im selben Jahr.«
    Grigat zuckte die Achseln. »Keine Ahnung. Das haben die Meldeakten nicht hergegeben.«
    »Können Sie sich denn an einen der drei Männer noch erinnern? Persönlich, meine ich.«
    »Leider nein«, sagte Grigat mit vollem Mund. Er schluckte und tupfte sich den Schnauz mit der Serviette ab, bevor er weitersprach. »Bin erst seit Herbst neunundzwanzig hier. Aber vielleicht fragen Sie einfach mal rum in der Nachbarschaft. Die Adressen haben Sie ja. Vielleicht wohnt da noch jemand, der sich an die drei erinnern kann.«
    »Genau das wollte ich tun«, sagte Rath. »Und mir bei der Gelegenheit Ihre schöne Stadt anschauen.«
    »Wenn Sie Unterstützung brauchen, sagen Sie nur Bescheid. Ich könnte Ihnen einen Mann an die Hand …«
    »Nein danke, nicht nötig. Ich habe doch Herrn Kowalski.«
    »Natürlich. Wo ist der eigentlich?«
    »Bei seinem Onkel.«
    »Ach? Ihr Begleiter hat Verwandtschaft hier?«
    »Er stammt sogar von hier.«
    »Dann fragen Sie den doch. Vielleicht weiß der, was vierundzwanzig hier passiert ist.«
    Rath nickte. Keine so dumme Idee. Obwohl er sich fragte, wie alt Anton Kowalski vor acht Jahren gewesen sein mochte. Da hatte er wahrscheinlich noch die Schulbank gedrückt.
    Endlich hatten sie die Fleischberge bewältigt. Das blonde Mädchen kam, die Teller abzuräumen, und stellte ihnen ungefragt zwei Schüsseln mit einer goldgelben Masse hin, die mit Rosinen gespickt war.
    »Masurische Glumse«, erklärte Grigat.
    »Glumse?«
    »Quark auf Hochdeutsch. Probieren Sie. Schmeckt wie Käsekuchen ohne Kuchen.«
    Erich Grigat hatte recht, das Zeug schmeckte gut. Allerdings fühlte Rath sich danach wie nach einem längeren Termin bei Gennat. Grigat jedoch schien immer noch nicht genug zu haben. Er rieb sich die Hände.
    »Sie wollten doch ostpreußische Spezialitäten probieren«, sagte er und schaute zufrieden über seinen Schnauzbart,

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