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Die Akte Veden

Die Akte Veden

Titel: Die Akte Veden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Meier
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drückten auf die Klingel, warteten auf den surrenden Ton, der sie einließ und stiegen die sechs Stockwerke hinauf.
    Irgendwo unten im Hausgang, wahrscheinlich im Keller, war ein leises Schaben zu hören, als würde etwas über den Boden geschleift, begleitet von ersticktem Stöhnen.
    Wolter erwartete sie in der Tür zu seiner Wohnung. Er war kreidebleich, zitterte leicht und sah ausgemergelt aus.
    Chest dachte nicht viel an die Vergangenheit, eigentlich nie, doch im Anbetracht seiner gerade absolvierten Imagination fühlte er einen Anflug von Bedauern. Wolter war einst ein ansehnlicher Bursche gewesen, voller Kraft, Leidenschaft und Vitalität, wenn auch ein wenig zaghaft und von zerstreutem Geist. Jetzt sah er aus wie ein billiger Abklatsch seiner Jugendversion, wie der klägliche Versuch eines miserablen Bildhauers, Wolter nachzustellen. Ein wirklich miserabler Versuch.
    »Total cool, Leute«, sagte er und ließ sie herein, warf einen schnellen, furchtsamen Blick in den Hausflur und riss die Tür zu. Er verriegelte fast fünfzig Schlösser, die ganze Tür schien nur aus Schlössern zu bestehen.
    Hora und Chest standen still hinter ihm und sahen ihm dabei zu. Aus dem Wohnzimmer hörten sie Stimmen.
    Wolter drehte sich um und sah zuerst Hora, dann Chest an. Das Grinsen, das er aufsetzte, hatte etwas Wahnsinniges. Er fuhr sich mit allen zehn Fingern durch das verfilzte kinnlange Haar, das ihm danach wild vom Kopf abstand, während sein Blick immer wieder zwischen seinen einstigen Schulkameraden hin und her ging.
    Wolter kannte sie jetzt eine halbe Ewigkeit und hatte noch immer Angst vor ihnen. Jetzt mehr als jemals zuvor. Und das, obwohl sie diejenigen waren, die ihm ständig das Leben retteten.
    Chest fühlte Bedauern.
    ›Kein Verrat an dir?‹, fragte Hora belustigt.
    ›Der Größte‹, erwiderte Chest.
    ›Ist seine Zeit gekommen?‹
    ›Ich weiß es nicht.‹
    Ein paar Sekunden vergingen. Wolter zappelte von einem Fuß auf den anderen.
    Als Chest sprach, zuckte Wolter zusammen: »Willst du uns nicht hereinbitten, Wolli?«
    Wolter war sichtlich erleichtert. Er sackte in sich zusammen wie ein Ballon, dem man die Luft auslässt. »Klar! Kommt rein! Sind nur ein paar Freunde da… ein paar Freunde… Freunde… Kommt rein!«
    Das Wohnzimmer bestand aus Bierkästen, die jeweils zu Sitzgelegenheiten und einem Bett aufeinander getürmt oder zusammengeschoben waren. Auf dem improvisierten Bett lag eine Matratze, die aus Flecken, Dreck und Fäulnis zu bestehen bestand.
    Drei Kerle und vier Frauen saßen herum. Eine regelrechte Versammlung von Menschen – so viele auf einen Haufen traf man nicht mehr oft.
    Chest zog sich das Hemd über den Kopf, dann das T-Shirt, und in der Stille, die jetzt herrschte, schnallte er das Täschchen ab. Er gab es Hora und zog sich wieder an.
    Ohne hinzusehen wusste er, dass die ›Freunde‹ von Wolter mit aufgerissenen Augen beobachteten, wie Hora das Päckchen aus der Tasche holte.
    »Womit wirst du bezahlen?«, fragte Hora.
    Chest registrierte, dass sein Kompagnon den stählernen Blick auf Wolter gerichtet hatte, das Gesicht – wie immer – ohne jede Regung, während er in Gedanken hören konnte, wie amüsiert Hora darüber war, dass Wolter unter eben jenem Blick zu schwitzen anfing.
    Beide wussten, dass Wolter das Pep benutzte, um an den Seelenlosen kampflos vorbeizukommen. Er schmierte sie damit, er verkaufte es nicht.
    Wolter schielte immer wieder auf das Päckchen in Horas Händen, eine Mischung aus Angst und Zuversicht umwölkte ihn.
    »Äh… wie immer… oder? Ich verticke, danach kriegt ihr die Kohle.«
    Chest trat mit willentlich langsamen Schritten an einen der Bierkästen heran. Keiner sollte sehen, wie schnell er sich unter Umständen bewegen konnte. Er setzte sich und spürte den Blick des Mädchens, das neben ihm saß.
    Hora sah weiterhin Wolter an. »Du hast uns noch nie etwas bezahlt, Wolli. Du schuldest uns, hm. Lass mich nachzählen.«
    ›Dreihundertvierundfünfzigtausend‹, sagte Chest in Gedanken.
    »Dreihundertvierundfünfzigtausend«, sagte Hora laut. Er legte den Kopf leicht schief und lächelte sanft. Die Härte in seinen Augen strafte diese Sanftheit, sie nahm seinem ganzen, schönen Gesicht die Anmut.
    Wolter warf einen Blick in die Runde. »Ihr wisst doch… Können wir das nicht das nächste Mal besprechen? Allein?« Er sah Chest an.
    Chest erwiderte den Blick.
    ›Mach schon, Mann! Hilf ihm!‹, kicherte Hora. ›Bevor er sich noch in die Hosen macht.

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