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Die Akte Veden

Die Akte Veden

Titel: Die Akte Veden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Meier
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standen Sie, als sie ihn das letzte Mal gesehen haben?«
    »In der Küche, also hinter diesem Fenster.« Sie deutete auf das Fenster im ersten Stock, von dem man freie Sicht auf den ganzen hinteren Garten hatte. »Ich habe Abendessen gemacht, war gerade dabei, den Salat zu waschen. Er schaukelte, und seine Schwester Samantha saß im Sandkasten.«
    »Sie schauen also hinaus, sehen Ihre Kinder spielen, senken den Kopf und kümmern sich um den Salat. Wie lange in etwa haben Sie mit gesenktem Kopf dagestanden?«
    Die Frau wischte sich unablässig mit einem Tempo über die Nase. In ihren Augen standen Tränen. »Nicht sehr lange. Vielleicht eine Minute, wenn überhaupt.«
    »Nur eine Minute?«
    »Ja, ganz sicher. Es kamen dunkle Wolken auf. Am Horizont hat es schon geblitzt, darum hab ich so schnell wieder aufgesehen.« Ihr entkam ein Schluchzen. »Kevin war einfach weg, als hätte er sich in Luft aufgelöst. Die Schaukel wippte noch hin und her. Und Samantha saß seelenruhig im Sandkasten.«
    Loki ließ den Blick noch einmal am Maschendrahtzaun entlang gleiten. »Wie lange haben Sie den Zaun schon?«
    »Den Zaun? Seit Samantha auf der Welt ist, also zwei Jahre.«
    »Er hat keine Löcher?«
    »Nein. Die Polizei hat das auch schon kontrolliert.« Sie drehte sich um und deutete auf den gepflasterten Weg, der von der Terrasse um das Hauseck herum verlief. Ein hölzernes Türchen trennte den Garten von der Garagenzufahrt vor dem Haus ab. »Die Tür war geschlossen und verriegelt. Wir sperren sie immer ab, damit die Kinder nicht auf die Straße laufen können.« Sie schluchzte. »Es muss jemand reingekommen, also über das Türchen oder den Zaun gesprungen sein. Anders geht es nicht.«
    Loki ging zur Schaukel hinüber und musterte die Blumenbeete und die Hecke vor dem Zaun. Er trat über die Linie aus Steinen hinweg, die beides von der Rasenfläche absteckte, und ließ den Blick wandern. Überall Fußspuren von großen, schweren Schuhen.
    »Wie viele Polizeibeamte hatten Sie in ihrem Garten? Hundert?«
    Die junge Mutter wischte sich mit dem Tempo über die Augen. »Drei. Aber sie haben keine Spuren gefunden.« Sie sah Loki dabei zu, wie er durch ihre Beete ging und schließlich zurück auf den Rasen trat. »Ich glaube, ich habe vergessen, woher Sie sind. Sie sind doch hoffentlich nicht von der Mordkommission, oder?«
    »Nein.« Loki nestelte die Zigaretten aus seiner Hosentasche, schob sich eine zwischen die Lippen und zündete sie an. »Was haben Sie gegen die Mordkommission?«
    »Nichts. Ich will sie nur nicht hier haben, denn was das bedeuten würde, wissen Sie ja.« Sie verstummte und presste die Lippen aufeinander.
    Loki erwiderte ihren Blick. »Kann ich mit Ihrer Tochter sprechen?«
    »Mit meiner Tochter?« Die Frau sah auf die Zigarette hinab. »Meine Tochter ist erst zwei Jahre alt.«
    »Ach ja, stimmt.« Loki lächelte. »Ihr Sohn war vier?«
    Wieder ein Blick auf die Zigarette. »War? Wieso sagen Sie war? Er ist vier.«
    »Wenn wir Pech haben, bleibt er für immer vier.« Er fing den entsetzten Blick auf und zuckte die Schultern. »Nur eine Prognose, Frau Gerber.«
    »Sie haben ihn aufgegeben? Was wissen Sie?«
    »Gar nichts. Zumindest nichts, das mich hoffen lässt, Ihr Kind schnell zu finden.« Loki aschte neben sich auf die Erde und ging auf das Gartentürchen zu.
    »Woher kommen Sie?«, fragte die Frau, die ihm folgte. »Gehören Sie irgendeiner Spezialeinheit an? Wo ist mein Kind?«
    Loki blieb noch einmal stehen und sah die Frau an. »Ja, ich gehöre einer Spezialeinheit an. Seien sie froh, dass ich hier bin, denn die Polizei macht wieder mal eine miserable Arbeit. Wenn Sie wieder Beamte in Ihrem Garten haben, sagen Sie denen das, was Sie Ihren Kindern bestimmt auch ständig sagen: Raus aus den Beeten.« Er lächelte und hob die Hand, winkte. »Auf Wiedersehen, Frau Gerber. Vielleicht bis bald.«

    *
    Die acht Schüler marschierten im Gänsemarsch. Jeweils zum Vordermann ließen sie zwei Schritte Abstand. Die linke Faust hielten sie dabei vor der Brust geballt und mit der rechten Hand umschlossen. Die Ellbogen waren zu den Seiten hin ausgestreckt. Beide Arme bildeten somit eine gerade Linie vor dem Körper. Keiner von ihnen sprach, während sie mit gesenkten Köpfen im Kreis gingen.
    »Kinhin.«
    Tim drehte sich um. Einen Schritt hinter ihm stand ein etwa Achtzehnjähriger, grüßte ihn mit einem Lächeln und nickte zu den Schülern hin, die Tim beobachtet hatte.
    »So heißt das, was sie da tun. Kinhin. Als

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