Die Akte
Sie den Mann?«
»Nein. Habe ihn nie gesehen. Es ist eine riesige Firma. Bei ihren Zusammenkünften tragen die Partner Schildchen mit ihren Namen. Können Sie sich das vorstellen? Die Leute, denen der Laden gehört, kennen sich nicht einmal gegenseitig. Es muss an die hundert Partner geben.«
Einundachtzig, um genau zu sein. »Waren Sie jemandem unterstellt?«
»Ja, einem Partner namens Walter Welch. Ein Widerling. Mir hat es dort überhaupt nicht gefallen.«
»Erinnern Sie sich an irgendwelche anderen Praktikanten?«
»Klar. Es wimmelte dort von ihnen.«
»Wenn ich ihre Namen brauchen sollte, darf ich dann auf Sie zurückkommen?«
»Jederzeit. Steckt dieser Mann in Schwierigkeiten?«
»Ich glaube nicht. Er weiß vielleicht etwas.«
»Ich hoffe, sie werden alle aus der Anwaltskammer ausgeschlossen. Sie sind nichts als ein Haufen Ganoven, und das Arbeiten dort war eine Pest. Alles politisch.«
»Danke.« Sie lächelte und wendete sich zum Gehen. Er bewunderte die Rückenansicht und sagte: »Sie können mich jederzeit anrufen.«
»Danke.«
Darby, die recherchierende Reporterin, ging zum Bibliotheksgebäude nebenan und stieg die Treppe zum fünften Stock hinauf, wo in einer Reihe von engen Büros das Georgetown Law Journal untergebracht war. Sie hatte in der Bibliothek die neueste Nummer des Journal gefunden und festgestellt, dass Jo-Anne Ratliff Mitherausgeberin war. Sie vermutete, dass sich alle juristischen Zeitschriften mehr oder minder glichen. In den Redaktionen saßen die Topstudenten und arbeiteten an ihren gelehrten Artikeln und Kommentaren. Sie fühlten sich dem Rest der Studentenschaft überlegen und bildeten eine isolierte, sich ihres brillanten Verstandes bewusste Gruppe. Sie hielten sich fast ständig in der Redaktion auf. Sie war ihre zweite Heimat.
Sie trat ein und fragte einen jungen Mann, der ihr begegnete, wo sie Jo-Anne Ratliff finden könnte. Er deutete um eine Ecke herum. Zweite Tür rechts. Die zweite Tür öffnete sich in ein vollgestopftes Arbeitszimmer mit Reihen von Büchern. Zwei Frauen waren in ihre Arbeit vertieft.
»Jo-Anne Ratliff?« sagte Darby.
»Das bin ich«, erwiderte eine ältere Frau von ungefähr vierzig.
»Hi. Ich heiße Sara Jacobs, und ich arbeite an einer Story für die Washington Post. Darf ich Ihnen ganz kurz ein paar Fragen stellen?«
Die Frau legte langsam ihren Kugelschreiber auf den Tisch und warf der anderen einen finsteren Blick zu. Was immer sie auch tun mochten, es war ungeheuer wichtig, und diese Störung war ausgesprochen lästig. Schließlich waren sie namhafte Jurastudentinnen.
Darby hätte am liebsten gegrinst und eine boshafte Bemerkung gemacht. Schließlich war sie selbst Nummer Zwei ihres Jahrgangs, also tut gefälligst nicht so, als wäret ihr etwas ganz Besonderes.
»Worum geht es bei dieser Story?« fragte Ratliff.
»Könnten wir uns allein unterhalten?«
Die beiden Frauen tauschten abermals einen finsteren Blick.
»Ich habe sehr viel zu tun«, sagte Ratliff.
Ich auch, dachte Darby. Du überprüfst Zitate für irgendeinen unbedeutenden Artikel, und ich versuche, den Mann festzunageln, der zwei Richter des Obersten Bundesgerichts umgebracht hat.
»Das tut mir leid«, sagte Darby. »Ich verspreche Ihnen, es dauert nicht länger als eine Minute.«
Sie gingen zusammen auf den Flur hinaus. »Es tut mir sehr leid, dass ich Sie bei der Arbeit störe, aber es ist sehr wichtig.«
»Und Sie sind Reporterin bei der Post ?« Es war eher eine Herausforderung als eine Frage, und sie war gezwungen, noch mehr zu lügen. Sie sagte sich, sie könnte zwei Tage lang lügen und betrügen und stehlen, dann ging es ab in die Karibik, und Grantham konnte zusehen, wie er zurechtkam.
»Ja. Haben Sie im Sommer bei White and Blazevich gearbeitet?«
»Ja. Weshalb interessiert Sie das?«
Schnell, das Foto. Ratliff nahm es und analysierte es.
»Kennen Sie den Mann?«
Sie schüttelte langsam den Kopf. »Ich glaube nicht. Wer ist das?«
Diese Person würde eine großartige Anwältin abgeben. So viele Fragen. Wenn sie wüsste, wer er war, würde sie nicht hier auf diesem engen Flur stehen und sich mit dieser hochnäsigen Person abgeben.
»Er ist Anwalt bei White and Blazevich«, sagte Darby so aufrichtig wie möglich. »Ich dachte, Sie kennen ihn vielleicht.«
»Nein.« Sie gab Darby das Foto zurück.
Das reichte. »Trotzdem vielen Dank. Und entschuldigen Sie die Störung.«
»Keine Ursache«, sagte Ratliff und verschwand durch die Tür.
Sie sprang in
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