Die Akte
versuchte, zu sich zu kommen. Sie reichte ihm den Kaffee.
Der Präsident hatte Tragisches zu vermelden. Seine Augen waren müde, er wirkte betrübt, aber sein voller Bariton verströmte Zuversicht. Er hatte Notizen, benutzte sie aber nicht. Er blickte tief in die Kamera und informierte das amerikanische Volk über die bestürzenden Ereignisse der vergangenen Nacht.
»Was ist los?« murmelte Callahan. Nachdem er die Todesfälle bekanntgegeben hatte, lieferte der Präsident einen blumigen Nachruf auf Rosenberg. Eine überragende Legende nannte er ihn. Es fiel ihm nicht leicht, aber er verzog keine Miene, während er sich in Lobesworten über einen der meistgehassten Männer in Amerika erging.
Callahan starrte auf den Bildschirm, ebenso Darby. »Das ist wirklich rührend«, sagte sie. FBI und CIA hätten ihm Bericht erstattet, erklärte der Präsident, und man ginge davon aus, dass die Morde zusammenhingen. Er hatte eine sofortige, gründliche Untersuchung gefordert, und die Verantwortlichen würden zur Rechenschaft gezogen werden.
Callahan saß aufrecht im Bett und bedeckte sich mit den Laken. Er blinzelte und kämmte mit den Fingern sein zerzaustes Haar. »Rosenberg? Ermordet?« murmelte er, ohne den Blick vom Bildschirm abzuwenden. Sein benebelter Kopf war sofort klar geworden, und die Schmerzen waren da, aber er spürte sie nicht.
»Sieh dir die Strickjacke an«, sagte Darby, trank Kaffee und betrachtete das orangefarbene Gesicht mit dem dicken Makeup und das silbrige, sorgfältig frisierte Haar. Er war ein wundervoll gutaussehender Mann mit einer beruhigenden Stimme; dieser Tatsache verdankte er seine politischen Erfolge. Die Falten auf seiner Stirn pressten sich zusammen, und er war jetzt noch betrübter, als er von seinem guten Freund Richter Glenn Jensen sprach.
»Im Montrose Theatre, um Mitternacht«, wiederholte Callahan.
»Wo ist das?« fragte sie. Callahan hatte sein Jurastudium in Georgetown abgeschlossen.
»Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, es liegt im Schwulenviertel.«
»War er schwul?«
»Ich habe Gerüchte gehört. Offensichtlich.« Jetzt saßen sie beide am Ende des Bettes mit den Laken über den Beinen. Der Präsident ordnete eine Woche Nationaltrauer an. Flaggen auf Halbmast. Bundesbehörden morgen geschlossen. Die Vorbereitungen für die Beisetzungen waren im Gange. Er redete noch ein paar Minuten weiter, immer noch tief betrübt, sogar schockiert, sehr menschlich, aber dennoch der Präsident und eindeutig Herr der Lage. Er verabschiedete sich mit seinem patentierten Großvaterlächeln voller Zuversicht, Weisheit und Trost.
Ein NBC-Reporter erschien auf dem Rasen des Weißen Hauses und füllte die Lücken. Die Polizei schwieg sich aus. Im Augenblick schien es keine Verdächtigen zu geben und keine Anhaltspunkte. Ja, beide Richter hatten unter dem Schutz des FBI gestanden, das keinen Kommentar gegeben hatte. Ja, das Montrose war ein Ort, der von Homosexuellen besucht wurde. Ja, es hatte zahlreiche Drohungen gegen beide Männer gegeben besonders gegen Rosenberg. Und es konnte sein, dass es viele Verdächtige geben würde, bevor alles vorbei war.
Callahan schaltete den Apparat aus und trat an die Terrassentür, wo die frühmorgendliche Luft zunehmend dicker wurde. »Keine Verdächtigen«, murmelte er.
»Mir fallen mindestens zwanzig ein«, sagte Darby.
»Ja, aber weshalb diese Kombination? Rosenberg, das ist einleuchtend, aber weshalb Jensen? Warum nicht McDowell oder Yount, die beide wesentlich liberaler sind als Jensen? Es ergibt keinen Sinn.« Callahan setzte sich auf einen Korbstuhl neben der Tür und raufte sich das Haar.
»Ich hole dir mehr Kaffee«, sagte Darby.
»Nein, nein. Ich bin wach.«
»Wie geht es deinem Kopf?«
»Gut, wenn ich drei Stunden länger hätte schlafen können. Ich glaube, ich werde das Seminar absagen. Mir ist nicht danach.«
»Großartig.«
»Verdammt, ich kann es einfach nicht glauben. Dieser Schwachkopf kann zwei neue Richter ernennen. Und das bedeutet, dass acht der neun von den Republikanern vorgeschlagen wurden.«
»Vorher müssen sie bestätigt werden.«
»In zehn Jahren wird die Verfassung nicht mehr wiederzuerkennen sein. Es ist zum Kotzen.«
»Genau deshalb wurden sie umgebracht, Thomas. Irgendeine Person oder irgendeine Gruppe möchte ein anderes Gericht haben, eines mit einer eindeutig konservativen Mehrheit. Nächstes Jahr ist Präsidentschaftswahl. Rosenberg ist oder war einundneunzig. Manning ist vierundachtzig, Yount knapp
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