Die Akte
reden, bevor die Sonne aufgeht?«
»Dumme Frage, Grantham.«
Eine kurze Pause. »Ja, da haben Sie recht. Ich nehme an, er will sofort mit mir reden?«
»Nein. Sie haben eine halbe Stunde. Er sagte, Sie sollten um sechs dort sein.«
»Wo?«
»Da ist ein kleines Café an der Vierzehnten Straße in der Nähe des Trinidad-Spielplatzes. Es ist dunkel und sicher, und Sarge mag es.«
»Wie findet er solche Lokale?«
»Wissen Sie, für einen Reporter stellen Sie verdammt dämliche Fragen. Der Name des Cafes ist Glenda’s, und ich schlage vor, Sie machen sich auf den Weg, sonst kommen Sie zu spät.«
»Werden Sie auch dort sein?«
»Ich schaue herein, um mich zu vergewissern, dass Sie okay sind.«
»Sie sagten doch, es wäre sicher.«
»Es ist sicher, jedenfalls für diesen Teil der Stadt. Werden Sie es finden?«
»Ja. Ich werde so bald wie möglich dort sein.«
»Schönen Tag noch, Grantham.«
Sarge war alt, sehr schwarz, mit strahlend weißem Haar, das in allen Richtungen von seinem Kopf abstand. Wann immer er wach war, trug er eine dunkle Sonnenbrille, und die meisten seiner Kollegen im Westflügel des Weißen Hauses glaubten, er wäre halb blind. Er hielt den Kopf schief und lächelte wie Ray Charles. Manchmal stieß er gegen Türrahmen oder Schreibtische, wenn er Abfalleimer leerte und Möbel abstaubte. Er ging langsam und vorsichtig, als zählte er seine Schritte. Er arbeitete geduldig, immer mit einem Lächeln, immer mit einem freundlichen Wort für jeden, der willens war, ihm seinerseits ein freundliches Wort zukommen zu lassen. Doch zumeist wurde er ignoriert; er galt als ein freundlicher, alter, halbinvalider Hausmeister.
Sarge konnte um Ecken herum sehen. Sein Territorium war der Westflügel, in dem er seit dreißig Jahren putzte. Putzte und lauschte. Putzte und sah. Er räumte um einige überaus wichtige Leute herum auf, die oft viel zu beschäftigt waren, um auf ihre Worte zu achten, zumal in Gegenwart des armen alten Sarge.
Er wusste, welche Türen offen blieben, welche Wände dünn waren und welche Lüftungsschächte Geräusche übertrugen. Er konnte in Sekundenschnelle verschwinden und dann in einem Schatten wieder auftauchen, in dem die wichtigen Leute ihn nicht sehen konnten.
Das meiste behielt er für sich. Aber von Zeit zu Zeit gelangte er in den Besitz einer pikanten Information, die sich mit einer anderen zusammenreimen ließ, und dann kam Sarge zu dem Entschluss, sie weiterzugeben. Er war sehr vorsichtig. Er hatte noch drei Jahre bis zur Pensionierung, und er ging kein Risiko ein.
Niemand kam auf die Idee, dass ausgerechnet Sarge die Presse mit Informationen belieferte. Gewöhnlich gab es im Weißen Haus genügend Großmäuler, die sich gegenseitig die Schuld zuschieben konnten. Es war wirklich zum Totlachen. Sarge redete mit Grantham von der Post; danach wartete er aufgeregt auf die Story und hörte sich anschließend im Keller das Aufheulen an, wenn die Köpfe rollten.
Er war ein ausgesprochen verlässlicher Informant, und er redete nur mit Grantham. Sein Sohn Cleve, der Polizist, arrangierte die Zusammenkünfte, immer zu ungewöhnlicher Zeit an dunklen und unauffälligen Orten. Sarge trug seine dunkle Brille, Grantham gleichfalls, und dazu einen Hut oder eine Mütze. Cleve setzte sich gewöhnlich zu ihnen und beobachtete die Leute, die in der Nähe waren.
Grantham traf ein paar Minuten nach sechs bei Glenda’s ein und ging zu einer Nische im Hintergrund des Lokals, in dem sich noch drei weitere Gäste aufhielten. Glenda selbst briet Eier auf einem Grill in der Nähe der Kasse. Cleve saß auf einem Hocker und sah ihr zu.
Sie gaben sich die Hand. Für Grantham stand eine Tasse Kaffee bereit.
»Tut mir leid, dass ich zu spät komme«, sagte er.
»Macht nichts, mein Freund. Schön, Sie zu sehen.« Sarge hatte eine heisere Stimme, die sich nur schwer zu einem Flüstern dämpfen ließ. Niemand hörte ihnen zu.
Grantham trank Kaffee. »Betriebsame Woche im Weißen Haus.«
»Kann man wohl sagen. Eine Menge Aufregung. Eine Menge Freude.«
»Tatsächlich?« Grantham durfte sich bei diesen Zusammenkünften keine Notizen machen. Das wäre zu auffällig, hatte Sarge gesagt, als er die Grundregeln festlegte.
»Ja. Der Präsident und seine Leute waren hocherfreut über die Sache mit Richter Rosenberg. Sie hat sie sehr glücklich gemacht.«
»Was ist mit Richter Jensen?«
»Nun, wie Ihnen bekannt ist, hat der Präsident an der Trauerfeier teilgenommen, aber keine Rede gehalten. Er
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