Die Akte
hatte es eigentlich vorgehabt, aber dann hat er einen Rückzieher gemacht, weil er sonst nette Dinge über einen Schwulen hätte sagen müssen.«
»Wer hat den Nachruf verfasst?«
»Die Redenschreiber. Vor allem Mabry. Er hat den ganzen Donnerstag daran gearbeitet. Aber dann hatte sich die Sache erledigt.«
»Er ist auch zu Rosenbergs Trauerfeier gegangen.«
»Ja. Aber er wollte nicht. Sagte, er würde lieber einen Tag in der Hölle verbringen. Aber schließlich gab er klein bei und ging doch. Er ist ziemlich froh darüber, dass Rosenberg ermordet worden ist. Am Mittwoch herrschte im Weißen Haus nahezu festliche Stimmung. Das Schicksal hat ihm wundervolle Karten zugeteilt. Jetzt kann er das Gericht umbilden, und davon ist er hellauf begeistert.«
Grantham hörte genau zu. Sarge fuhr fort.
»Es gibt eine Kandidatenliste. Sie enthielt ursprünglich zwanzig Namen, dann wurde sie auf acht zusammengestrichen.«
»Wer hat das Zusammenstreichen besorgt?«
»Was glauben Sie denn? Der Präsident und Fletcher Coal. Sie haben eine Heidenangst, dass irgendwas durchsickern könnte. Wie es scheint, enthält die Liste ausschließlich junge, konservative Richter, von denen noch nie jemand was gehört hat.«
»Irgendwelche Namen?«
»Nur zwei. Ein Mann namens Pryce aus Idaho und einer namens MacLawrence aus Vermont. Ich glaube, sie sind beide Bundesrichter. Die anderen kenne ich nicht. Mehr habe ich nicht zu bieten.«
»Wie steht es mit der Untersuchung?«
»Ich habe nicht viel gehört, aber ich halte die Ohren offen. Es scheint sich nicht viel zu tun.«
»Sonst noch etwas?«
»Nein. Wann bringen Sie es?«
»In der Morgenausgabe.«
»Das wird ein Spaß.«
»Danke, Sarge.«
Inzwischen war die Sonne aufgegangen, und im Café war es lauter geworden. Cleve kam herbei und setzte sich zu seinem Vater. »Seid ihr fertig?«
»Ja«, sagte Sarge.
Cleve sah sich um. »Ich glaube, wir müssen verschwinden. Grantham geht zuerst. Ich folge ihm, und Pop kann bleiben, solange er Lust hat.«
»Mächtig nett von dir«, sagte Sarge.
»Danke, Leute«, sagte Grantham und machte sich auf den Weg zum Ausgang.
12
V erheek kam wie gewöhnlich zu spät. In der dreiundzwanzigjährigen Geschichte ihrer Freundschaft war er noch nie pünktlich gewesen, und nie hatte es sich um eine Verspätung von nur einigen Minuten gehandelt. Er hatte keinerlei Zeitgefühl, aber das störte ihn nicht im geringsten. Er trug eine Uhr, schaute aber nie darauf. Wenn Verheek sich verspätete, dann um mindestens eine Stunde, manchmal sogar zwei, zumal wenn die Person, die er warten ließ, ein Freund war, der damit rechnete, dass er sich verspätete, und es ihm verzeihen würde.
Also saß Callahan eine Stunde in der Bar, wogegen er nichts einzuwenden hatte. Nach acht Stunden wissenschaftlichen Debattierens hatte er die Nase voll von der Verfassung und von denjenigen, die sie lehrten. Er brauchte Chivas in den Adern, und nach zwei Doppelten on the rocks fühlte er sich besser. Er betrachtete sich selbst im Spiegel hinter den Flaschenreihen; dazwischen hielt er über die Schulter hinweg immer wieder Ausschau nach Gavin Verheek. Kein Wunder, dass sein Freund in einer privaten Kanzlei, in der das Leben von der Uhr abhing, nicht zu Rande gekommen war.
Als der dritte Doppelte vor ihm stand, eine Stunde und elf Minuten nach sieben Uhr, erschien Verheek in der Bar und bestellte ein Moosehead.
»Tut mir leid, dass ich mich verspätet habe«, sagte er, als sie sich die Hand gaben. »Aber ich wusste, dass es dir nichts ausmachen würde, einige Zeit allein mit deinem Chivas zu verbringen.«
»Du siehst müde aus«, sagte Callahan, nachdem er ihn gemustert hatte. Alt und müde. Verheek alterte unschön und hatte Fett angesetzt. Seine Stirn war seit ihrem letzten Treffen zwei Zentimeter höher geworden, und bei seiner blassen Haut fielen die dunklen Ringe unter seinen Augen besonders auf. »Wieviel wiegst du?«
»Das geht dich nichts an«, sagte er und schüttete sein Bier hinunter. »Wo ist unser Tisch?«
»Ich habe ihn für halb neun reservieren lassen, weil ich damit rechnete, dass du mindestens anderthalb Stunden zu spät kommst.«
»Dann bin ich ja früh dran.«
»So ist es. Kommst du direkt aus dem Büro?«
»Ich lebe jetzt im Büro. Der Direktor verlangt nicht weniger als hundert Stunden pro Woche, bis sich irgend etwas ergeben hat. Ich habe meiner Frau gesagt, ich käme zu Weihnachten nach Hause.«
»Wie geht es ihr?«
»Gut. Eine sehr geduldige Dame. Wir
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