Die Akte
männlicher Hochspannung, und du wirst mich nicht los, indem du mir sagst, ich sähe müde aus.«
»Trink noch ein Glas Wein.«
Callahan trank noch ein Glas Wein und versank tiefer in der Couch. »Also, Ms. Shaw, wer hat es getan?«
»Profis. Hast du die Zeitungen nicht gelesen?«
»Doch, natürlich. Aber wer steckt hinter den Profis?«
»Ich weiß es nicht. Nach den Vorgängen der letzten Nacht scheinen sich alle einig zu sein, dass es die Underground Army war.«
»Aber du bist nicht überzeugt?«
»Nein. Es ist noch niemand verhaftet worden. Ich bin nicht überzeugt.«
»Und du hast irgendeinen obskuren Verdächtigen, von dem niemand im Lande eine Ahnung hat?«
»Ich hatte einen, aber jetzt bin ich nicht mehr so sicher. Ich habe drei Tage damit verbracht, der Sache nachzugehen, habe sogar alles fein sauber und ordentlich in meinen kleinen Computer eingegeben und den Entwurf eines Dossiers ausgedruckt, den ich ad acta gelegt habe.«
Callahan sah sie fassungslos an. »Du hast drei Tage lang alle Vorlesungen geschwänzt, mich ignoriert, rund um die Uhr gearbeitet, um Sherlock Holmes zu spielen, und jetzt willst du es in den Papierkorb werfen?«
»Es liegt drüben auf dem Tisch.«
»Ich kann es einfach nicht glauben. Die ganze Woche über, während ich meine Einsamkeit mannhaft ertrug, wusste ich, dass ich es für einen guten Zweck tat. Ich wusste, dass ich zum Wohle des Landes litt, weil du die Zwiebel schälen und mir heute abend oder vielleicht morgen sagen würdest, wer es getan hat.«
»Es ist unmöglich, jedenfalls mit juristischen Recherchen. Bei den Morden ist kein Muster erkennbar, kein gemeinsamer Nenner. Ich habe fast die Fakultäts-Computer durchbrennen lassen.«
»Ha! Das habe ich dir doch gesagt. Du vergisst, meine Liebe, dass ich auf dem Gebiet des Verfassungsrechts ein Genie bin, und ich habe sofort gewusst, dass Rosenberg und Jensen nichts gemeinsam hatten außer schwarzen Roben und Todesdrohungen. Die Nazis oder die Arier oder der Ku Klux Klan oder die Mafia oder wer auch immer haben sie umgebracht, weil Rosenberg Rosenberg war und Jensen das leichteste Opfer und manchen Leuten ein Dorn im Auge.«
»Weshalb rufst du dann nicht das FBI an und teilst ihm deine Einsichten mit? Ich bin sicher, sie sitzen am Telefon und warten nur auf deinen Anruf.«
»Nicht böse sein. Es tut mir leid. Bitte, verzeih mir.«
»Du bist ein Esel, Thomas.«
»Ja, aber du liebst mich doch?«
»Ich weiß es nicht.«
»Können wir trotzdem zusammen ins Bett gehen? Du hast es versprochen.«
»Wir werden sehen.«
Callahan stellte sein Glas auf den Tisch und ging in die Offensive. »Okay, Baby, ich werde dein Dossier lesen. Und wir werden darüber reden. Aber im Augenblick kann ich nicht klar denken, und ich kann nicht weitermachen, bis du meine schwache und zitternde Hand ergriffen und mich zu deinem Bett geführt hast.«
»Vergiss mein kleines Dossier.«
»Bitte, verdammt noch mal, Darby, bitte.«
Sie legte ihm die Arme um den Hals und zog ihn an sich. Sie küssten sich lange und heftig, und es war ein feuchter, fast gewalttätiger Kuss.
11
D er Polizist legte den Daumen auf den Knopf neben dem Namen Gray Grantham und drückte ihn zwanzig Sekunden nieder. Dann eine kurze Pause. Dann weitere zwanzig Sekunden. Pause. Zwanzig Sekunden. Es kam ihm komisch vor, weil Grantham eine Nachteule war und wahrscheinlich noch keine drei Stunden geschlafen hatte, und jetzt ertönte in seinem Flur dieses unaufhörliche Läuten. Er drückte wieder und warf einen Blick auf seinen am Bordstein unter einer Straßenlaterne geparkten Streifenwagen. Es war Sonntagmorgen, kurz vor Anbruch der Dämmerung, und die Straße war leer. Zwanzig Sekunden, Pause. Zwanzig Sekunden.
Vielleicht war Grantham tot. Oder er war hinüber vom Saufen und einem nächtlichen Zug durch die Stadt. Vielleicht hatte er auch eine Frau da oben und keine Lust, auf das Läuten zu reagieren. Pause. Zwanzig Sekunden.
Die Sprechanlage knisterte. »Wer ist da?«
»Polizei!« antwortete der Polizist, der schwarz war. »Was wollen Sie?« fragte Grantham.
»Vielleicht habe ich einen Haftbefehl.« Der Polizist lachte beinahe.
Granthams Stimme wurde sanfter, und er hörte sich verletzt an. »Ist das Cleve?«
»Er ist es.«
»Wie spät ist es, Cleve?«
»Fast halb sechs.«
»Dann muss es gut sein.«
»Keine Ahnung. Sarge hat mir nichts verraten. Er hat nur gesagt, ich sollte Sie wecken, weil er mit Ihnen reden möchte.«
»Warum will er immer mit mir
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