Die Albenmark: Elfenritter 2 - Roman
Männer packten die Gittestäbe. Zoll um Zoll hob sich die eiserne Barriere.
Der Mann, dem die Haare verbrannt waren, warf sich zu Boden und versuchte zwischen den Spitzen des Fallgitters hindurchzukriechen.
»Nein«, sagte Lilianne. Ihre Stimme war schwach, ihr ganzer Leib ein sengender Schmerz. Sie wagte es nicht, an sich hinabzublicken. Sie wollte nicht wissen, was mit ihr geschah. »Nicht.«
Als das Gitter vielleicht zwanzig Zoll angehoben war, drängte sich die ganze Rotte brennender Schweine durch die Lücke.
Die Helfer ließen los. Das Gitter raste herab. Es spießte zwei Schweine auf und den Ritter, der als Erster hinausgewollt hatte.
Lilianne erinnerte sich an etwas. Sie ließ sich auf den Boden fallen und kroch dicht an das Gitter heran. Als sie die schmerzenden Hände über dem Kopf faltete, tastete sie über verbrannte Stoppeln.
Michelles Gesicht erschien vor ihr. »Wir holen dich hier heraus.«
Lilianne wollte das Grauen in den Augen ihrer Schwester nicht sehen. »Du musst …«
Die Explosion des ersten Pulverfasses schnitt ihr das Wort ab.
FLUCHT
Ich soll wirklich tun, was dieser glänzende, schwarze Käfer befohlen hat?, durchdrang die Stimme des Adlerkönigs Ollowains Gedanken.
»Ja, Wolkentaucher. Wir haben keine andere Wahl. Tiranu hat recht mit dem, was er gesagt hat.«
Der riesige Adler plusterte sein Gefieder auf. Er drehte ruckartig den Kopf und sah den Elfen durchdringend an.
Von ihm kommt nichts Gutes, Schwertmeister.
»Ich bin ganz deiner Meinung. Aber es ändert nichts daran, dass er dieses eine Mal recht hat. Wir werden nicht alle retten können, wenn wir uns an den ursprünglichen Plan halten. Flieg nun und sorge dich nicht. Ich werde Tiranu nicht aus den Augen lassen, wenn es hier zum Ende kommt.«
Der Adler war nicht überzeugt. Ollowain spürte das ganz deutlich. Doch Wolkentaucher gab es auf, seine Einwände weiter geltend zu machen.
Der Schwertmeister kniete vor der jungen Frau nieder, die ins Gurtzeug geschnallt war. Man hatte ihr die Hände gebunden, damit sie während des Fluges kein Unheil anrichten konnte.
»Ich habe ihn nicht getötet«, sagte er leise.
Gishild starrte ihn an. Der kalte Zorn in ihren Augen wich Schmerz.
»Er wird nicht sterben. Er wird sich schnell erholen. Und er wird keinen bleibenden Schaden davontragen. Schon in einem halben Jahr wird er wieder eine Waffe führen.«
Gishild nickte.
»Du solltest heute heiraten …« Die Stimme des Schwertmeisters klang dunkel, er suchte nach Worten. »Es tut mir leid. Er wird leben, das verspreche ich dir. Aber du kannst ihn niemals wiedersehen. Man erwartet dich im Fjordland. Du wirst Königin sein.«
Wolkentaucher wurde unruhig.
Der Schwertmeister trat ein Stück zurück, und der riesige Adler spreizte seine Schwingen, um sich in die Luft zu erheben.
IM ZWEIFEL
Fingayn senkte den Bogen. Dieses Gefühl, das ihn plagte, war neu. Waren das Gewissensbisse? Er hätte den Alten leicht niederschießen können. Es war kurz windstill gewesen. Jetzt heulten wieder kalte Böen über die Mauern und Dächer hinweg. Nun würde es schwieriger werden, einen sauberen Treffer zu erzielen.
Er betrachtete die Umhänge der Ritter, die sich im Wind bauschten, und versuchte einzuschätzen, wie weit sein Pfeil abgetrieben werden würde. Es waren kaum mehr als sechzig Schritt bis zu seinem Ziel. Kein besonders schwerer Schuss … Wenn es windstill war!
Es war schon seltsam, dass sie ihre Verwundeten ausgerechnet hierher brachten. So dicht bei der Mauer! Sie mussten doch wissen, dass sie hier unter Beschuss geraten könnten.
Es war genau so, wie Emerelle es ihm vorausgesagt hatte. Sie hatte ihm befohlen, auf die Heiler zu achten, die das Weiß des Ritterordens trugen. Sie hatte prophezeit, dass die Heiler erschienen würden, wenn es dazu käme, dass die Elfen auf einen engen Raum zusammengedrängt würden. Sie waren viel zu nah bei den Kämpfenden …
Fingayn dachte an die Geschichten über Aniscans, die Dreikönigsschlacht und an das Massaker während der Krönung Roxannes. Er kannte all das Grauen nur vom Hörensagen. Emerelle hatte die Geschichten in einen Zusammenhang gestellt. Es waren nicht die Ritter, von denen die größte Gefahr ausging. Es waren die Heiler des Ordens.
Der Alte dort unten wollte gar nicht in erster Linie den grässlich verbrannten Gestalten helfen, die man auf blutbesudelten Umhängen ins Gras bettete. Er wollte die Elfen in der Burg töten. Alle! Wenn Emerelle recht hatte …
Die zwei
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