Die Albenmark: Elfenritter 2 - Roman
dem weiten Kreis gelöst und stieß im Sturzflug zum Burgfried hinab.
Der Elf sah, wie Kugeln am Gefieder des Adlers zupften. Erst im letzten Augenblick breitete er die Flügel aus, um seinen Sturz abzufangen.
Von allen Seiten pfiffen Kugeln über den Bergfried hinweg. Putz spritzte von den Zinnen. Die Krallen des Adlers gruben sich ins Mauerwerk.
»Deiner«, rief Ollowain dem Bogenschützen zu.
Plötzlich erzitterte der Adler, als habe ihn ein Fieber gepackt. Sein Leib wurde durchgeschüttelt. Federn stoben über den Turm. Dort, wo gerade noch ein kaltes, dunkles Auge gewesen war, klaffte ein rotes Loch. Eine ganze Salve Arkebusenkugeln hatte ihn getroffen.
Der Vogel kippte nach vorn, sein linker Flügel zuckte. Er spreizte ihn weit ab, als wolle er dem Tod davonfliegen.
Ollowain betrachtete den Adler. Er kannte nicht einmal dessen Namen. Er hatte immer Schwierigkeiten gehabt, die stolzen Vögel auseinanderzuhalten. Er schämte sich. Der
Schwarzrückenadler hatte sein Leben für sie gegeben, und er … er kannte nicht einmal dessen Namen!
»Kommt nicht mehr herunter!« Er winkte mit beiden Armen den Adlern, die hoch über ihnen kreisten, und schrie dabei aus Leibeskräften. »Es ist zu gefährlich. Fliegt davon! Wir bringen die Sache auf unsere Art zu Ende.«
»Und was ist unsere Art?« Tiranu stieg durch die Falltür. Eine lässig ausholende Bewegung ließ das Blut von seiner Klinge spritzen.
Ollowain lächelte. Ein Gutes hatte ihre Lage. Dieser Mistkerl würde mit ihm zugrunde gehen und in Albenmark keinen Schaden mehr anrichten. Mit diesem Wissen in den Tod zu gehen machte es einfacher.
Fingayn blickte zwischen den Zinnen hinab zum See. »Man könnte springen. Ich glaube, das Wasser ist tief genug, um es zu wagen.«
»Sie haben die Boote besetzt«, entgegnete der Schwertmeister. »Wie willst du ihnen entkommen?«
»Ich bin ein Maurawani.« Fingayn lächelte auf eine Art, die einen frösteln ließ. Für ihn war damit offensichtlich alles gesagt.
Auch Tiranu blickte kurz zum See hinab. Er runzelte die Stirn und schüttelte dann den Kopf. »Nein, ich habe die Magie aufgegeben und mich für den Weg des Schwertes entschieden. Jetzt werde ich meine Meinung nicht schon wieder ändern, um den Weg der Kaulquappe zu wählen. Und du, Ollowain? Was wirst du tun?«
Der Schwertmeister zog seine Waffe und deutete auf den Treppenschacht, in dem das Stampfen genagelter Soldatenstiefel widerhallte. »Ich werde dort hinabsteigen und so viele Feinde Albenmarks töten, wie mir möglich ist.«
»Welch ein denkwürdiger Tag«, sagte Tiranu, überraschenderweise
ganz ohne Sarkasmus. »Es ist das erste Mal, dass wir in einer Angelegenheit derselben Meinung sind.«
Fingayn seufzte. Dann lehnte er seinen Bogen gegen die Brustwehr und hob das Rapier eines Toten auf.
»Erscheint der Weg der Kaulquappe dir plötzlich unehrenhaft ?«, fragte Tiranu.
»In meinem Volk heißt es, die Wahrheit über dich stirbt mit deinem letzten Atemzug. Von da an bist du nur noch, was die anderen über dich erzählen, ganz gleich, wie du gelebt hast. Wenn ich als Einziger von uns dreien nach Albenmark zurückkehre, dann wird alles, was von mir bleibt, die Geschichte sein, wie ich euch im Stich gelassen habe. Dabei ist es viel schwerer, sich von hier aus bis in unsere Heimat durchzuschlagen, als stumpfsinnig mit dem Schwert in der Hand diese Treppe hinabzusteigen und zu sterben.«
Tiranu lachte. »Ich bin ein Fürstensohn. Die schwierigen Dinge im Leben haben immer andere für mich erledigt. Ich kann nicht anders, als den einfachen Weg zu gehen.«
»Und ich bin zu müde, um fortzulaufen.« Ollowain sagte das ohne Traurigkeit oder Bitternis. »Ich bin dem Mondlicht näher als Albenmark. Ich weiß, ich werde im Mondlicht erwartet. Lyndwyn, die Frau, die ich liebe, ist dort. Fast ein Jahrtausend schon. Manchmal in der Schlacht habe ich das Gefühl, dass sie mir ganz nahe ist. In Albenmark gibt es niemanden mehr, der mich erwartet.«
»Was für eindrucksvolle Grabreden«, entgegnete Fingayn mürrisch. »Ich fürchte, über mich kann ich nur sagen, ich bin der Trottel, der den letzten Adlerflug verpasst hat und nun mit zwei todessehnsüchtigen Helden in der Patsche sitzt und nicht die innere Größe hat, sich einen Dreck darum zu scheren, wie man von mir redet, wenn ich tot bin.«
EIN NEUER WEG
Blutüberströmt kam Michelle auf den Hof zurück. Es war Honoré eine Genugtuung, sie geschlagen zu sehen. Und zugleich schmerzte es ihn. Er musste es
Weitere Kostenlose Bücher