Die Albenmark: Elfenritter 2 - Roman
sich nördlicher als der übrige Schwarm. Am Horizont zeigte sich eine schwarze Wolkenbank, der sie entgegenstrebten.
Gishild verdrehte den Hals und sah den übrigen Adlern nach.
»Wohin bringst du mich?«, schrie sie aus Leibeskräften, doch der Sturmwind riss ihr die Worte von den Lippen. Der Adler hatte sie nicht gehört … Er wollte sie nicht hören. Sie kannte die Geschichten um das Adlervolk vom Albenhaupt. Wenn er ihr etwas mitteilen wollte, dann würde er in ihren Gedanken zu ihr sprechen. Aber er schwieg.
Gishild fror erbärmlich. Der Wind griff mit eisigen Fingern in ihr Gewand. Das Kettenhemd fühlte sich an, als seien die Ringe aus Eis geschnitten. Und die Kälte fuhr durch ihre viel zu dünnen Kleider. Ihr klapperten die Zähne. Sie war so fest unter den Adler geschnallt, dass sie sich nicht
einmal mit den Händen über die Arme reiben konnte, um sich zu wärmen.
Unter ihr glitten die tiefen Schluchten des nördlichen Küstengebirges dahin. Am Horizont sah sie das Meer. Eine unruhige graue Fläche, durchsetzt mit Inseln und Klippen, die sich schwarz gegen die See abhoben. Weiße Gischt jagte über Wellenkämme hinweg. Selbst auf diese Entfernung hörte sie das Donnern der Brandung.
Gishild dachte an Luc. Lebte er noch? Tränen standen ihr in den Augen. Sie wusste, sie würde Luc niemals wiedersehen. Und zum ersten Mal wünschte sie sich, Silwyna hätte sie nicht gefunden. Mit Luc hätte sie glücklich werden können … Sie hatte sich nicht dem Orden ergeben, sondern Lucs Liebe. Und er hätte sie beschützt. Immer! Wütend schüttelte sie den Kopf und verfluchte ihre alten Götter. Luth, den Schicksalsweber, der ihren Lebensfaden zu einem so verschlungenen Knäuel gewoben hatte. Norgrimm, den Gott des Krieges, dem es gefiel, dass noch einmal ein solches Gemetzel um ihretwillen stattfand. Maewe, die Göttin der schönen Dinge, die ihr das Glück vorenthielt, und Naida, die Wolkenreiterin, Herrin der dreiundzwanzig Winde, weil ihre Sturmböen Gishild wie Ohrfeigen ins Gesicht schlugen. Sie schrie in den Wind, bis all ihre Kräfte sie verlassen hatten.
Dann starrte sie nur noch auf das aufgewühlte Meer. Es schien ihr wie ein Spiegel ihrer Seele. Und sie dachte daran, die Haken zu lösen, die sie hielten, und einzutauchen in das kalte Grau, um für immer zu vergessen und vergessen zu werden.
Sie winkelte die Arme an. Ihre Finger tasteten über das Geschirr … Sie zitterte.
DER LETZTE BEFEHL
Ollowain schloss die Haken des Fluggeschirrs.
»Ich kann noch kämpfen«, begehrte Jornowell schwach auf.
»In einer anderen Schlacht«, entgegnete Ollowain sanft. »Flieg!«, befahl er Drei Krallen.
Der Schwarzrückenadler stieß sich von den Zinnen des Bergfrieds ab, sackte kurz durch, breitete die Flügel aus und gewann mit kräftigen Schlägen langsam an Höhe. Sturmböen zerzausten sein Gefieder.
Im Hof unter ihnen krachten Arkebusenschüsse. Ollowain konnte sehen, wie eine der Kugeln den linken Flügel des Adlers durchschlug. Doch Drei Krallen hielt durch. Immer weiter schraubte er sich in weiten Kreisen in die Höhe und hielt sich dabei nach Westen, wo er bald außer Reichweite der Schützen war.
Ollowain lehnte sich mit dem Rücken gegen eine der hohen Zinnen. Ihm gegenüber kauerte Fingayn. Der Maurawani nahm die Sehne von seinem Bogen. Sein Köcher war leer. Aus der offenen Falltür in der Mitte der Turmplattform klang das Lied der Klingen.
Der Schwertmeister blickte in den Himmel hinauf. Vier Adler zogen hoch über ihnen ihre Kreise. Ein fünfter kam von Osten her, um sich seinen Nestbrüdern anzuschließen. Es gab keine Stahlpfeile und Rauchtöpfe mehr. Nichts, womit sie sie hätten unterstützen können. Es blieb nur noch zu fliehen. Aber auf den Zinnen zu landen war gefährlich, denn die Höfe und Wälle ringsherum waren von Schützen besetzt.
»Wer ist auf der Treppe?«, rief er Fingayn zu.
»Nur noch Tiranu.«
Ollowain wurde sich bewusst, dass er wohl eine Grimasse geschnitten haben musste, als der Bogenschütze ihn unvermittelt anlächelte.
»Drei ungleiche Helden, daraus kann man ein hübsches Lied machen.« Der Maurawani nahm einem der toten Krieger auf der Turmplattform seine Arkebuse ab und wog die Waffe prüfend in der Hand. »Ziemlich schwer.« Er blies auf den matten Funken am Ende der Zündschnur. »Keine Waffe für Jäger«, murmelte er und sagte noch etwas, das im Krachen einer Salve auf dem Hof unter ihnen unterging.
Ollowain blickte auf. Einer der Adler hatte sich aus
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