Die Albenmark: Elfenritter 2 - Roman
abgeschabten Worte gestoßen. »Ist es ein Fehler, diese Zeilen vor dem Jungen zu verbergen?«
Fernando hob abwehrend die Hände. »Solche Entscheidungen werde ich nicht fällen. Ich bin nur die Feder. Du bist die Hand, die die Feder führt.«
Honoré strich sich nachdenklich über das Kinn. Was tun? Er wollte, dass die beiden eines Tages wieder zueinanderfanden. Deshalb durfte er die Briefe, die Luc erreichten, und auch jene, die er schickte, nur ganz behutsam ändern. Sie
würden darüber reden, was sie einander geschrieben hatten. Aber diese Worte … Sie waren zu direkt! Zu grausam! Deshalb hatte Gishild sie doch auch getilgt.
»Schreib den Brief neu und lass die abgeschabten Zeilen fort.«
Fernando nickte. »Und sonst?«
»Lass sie nicht von ihren Göttern reden. Tausche hier und da ein Wort aus, damit die Zeilen poetischer werden. So wie wir es auch bei Lucs Briefen machen. Und dann sorge dafür, dass Luc diese Zeilen noch heute erhält.«
Honoré verließ die Kammer des Schreibers und rief nach seinem Pferdeknecht. Er musste zur verborgenen Bucht nahe der Schlangengrube, dorthin, wo die beiden Schiffe entstanden, die Emerelle töten würden. Die Raben seiner Baumeister hatten schlechte Neuigkeiten gebracht.
GOLDENE SPOREN
So viele Jahre hatte er davon geträumt, die goldenen Sporen der Ritterschaft zu erlangen, und jetzt fühlte er sich leer. Sie bedeuteten ihm nichts. Schlimmer noch, seine Zeit als Novize war vorüber, und er wusste nicht, was er nun tun sollte. In seinen Träumen war Gishild an diesem Tag bei ihm gewesen. Fast zwei Jahre war es nun her, dass die Elfen sie geraubt hatten, und er hatte kein Ziel gefunden. Er hasste die Anderen! Er wünschte sie zu vernichten. Sie, die ihm Gishild genommen hatten. Aber allein der Wunsch war schon grotesk.
Es war, als wolle eine Ameise einen Löwen herausfordern. Er wusste nicht, wie er sie bekämpfen sollte.
Luc hatte die Sporen von seinen Stiefeln geschnallt und hielt sie in der Hand. Nach dem langen Ritt in die Hügel westlich der Schlangengrube waren sie mit Staub bedeckt. Sie hatten ihren Glanz verloren. Er lächelte traurig. Sie waren wie sein Leben. Seit Gishild fort war, hatte alles seinen Glanz verloren. Vor allem seit jenem Brief, auf den er ihr drei Monde lang nicht hatte antworten können. Es machte ihn krank, sich vorzustellen, dass ein anderer Mann in ihrem Bett lag. Kein Tag war vergangen, an dem er sich nicht vorgestellt hatte, den Kerl zum Duell zu fordern.
Luc hatte begriffen, dass Gishild keine Wahl gehabt hatte. Und an guten Tagen war er bereit zu glauben, dass sich nichts verändert hatte. Aber gute Tage hatte er nur selten. Eigentlich war nichts mehr gut, seit Gishild seinem Leben fehlte.
Er ballte die Faust um die Sporen, und ein goldener Sporn bohrte sich in sein Fleisch. Der Schmerz war ihm willkommen, er lenkte ihn ab von dem anderen Schmerz. Von der Seelenqual, die nicht zu heilen war.
Er blickte über die Hügel hinweg zur Schlangengrube. Schwarzer Rauch hing über der Stadt der Kanonengießer. Manchmal sah man kurz ein rötliches Flackern an der Unterseite der Rauchwolke, wenn irgendwo glühendes Metall gegossen wurde. Nie ruhte die Stadt. Bis hierher hörte er ihre gewaltigen, wassergetriebenen Schmiedehämmer. Es war ein düsterer Ort voller Schmutz und Lärm. In seinen sieben Jahren in Valloncour hatte er die Stadt nur zweimal besucht. Niemand ging dort gerne hin.
Hufschlag erklang. Ein Reiter erreichte den Kamm des nächstgelegenen Hügels. Honoré. Der Primarch hatte seinen Gehstock quer über dem Sattel liegen. Er winkte ihm zu.
Luc drehte seinen Hengst über die Zügel. Langsam ritt er dem Primarchen entgegen. Leon hatte er gefürchtet und manchmal auch geliebt. Gegenüber Honoré empfand er tiefe Freundschaft. So oft hatte der Primarch versucht, ihm Mut zu machen! Niemand verstand ihn so gut wie Honoré. Sie waren Seelenbrüder.
Honoré war es gewesen, der ihn für die Mittagsstunde auf den Katzbuckel westlich der Schlangengrube bestellt hatte. Und Luc war dankbar, einen Grund zu haben, die feiernden Schwertbrüder seiner Lanze zu verlassen.
»Ich grüße dich, Ritterbruder!«, rief Honoré ihm zu.
Selten hatte Luc den Primarchen in so guter Stimmung gesehen. Luc neigte das Haupt. Ritterbruder! Diesen lang ersehnten Ehrentitel endlich zu tragen erschien ihm noch fremd.
»Und, hast du dich entschieden, auf welche Weise du dem Orden dienen möchtest?«
Luc hatte diese Frage gefürchtet. Eine gute Antwort
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