Die Albenmark: Elfenritter 2 - Roman
Finsternis. Bitte vertrau mir!
Dein Nordstern
BRIEF, VERWAHRT IN EINEM EBENHOLZKÄSTCHEN
IN DER KAMMER DER DREI SCHLÜSSEL
IM HANDELSKONTOR ZU VALLONCOUR
MASS HALTEN
»Mut hat sie, das muss man ihr lassen.« Fernando legte den Brief nieder und blickte zu Honoré auf.
Honoré bedachte den jungen, schlaksigen Mann mit einem kühlen Blick. Fernando war ein wahrlich außergewöhnliches Talent. Trotz seiner Jugend war er gelehrt und belesen wie kaum ein anderer. Er war in einem Refugium aufgewachsen, und hätte er nicht eine Vorliebe für Bücher gehabt, die nicht in fromme Hände gehören, hätte er dort ein Leben in Frieden führen können. Doch er hatte Briefe gefälscht und Siegel. Hatte Dinge gelesen, für die man ihm Zunge und Hände abgeschnitten hätte, wenn er sie ausgesprochen hätte. Er war auf dem Weg zum Scheiterhaufen in Aniscans gewesen, als Honoré von ihm erfahren hatte. Und es hatte einige Mühe gekostet, diesem Weg eine unerwartete Abzweigung abzuringen. Aber ein solches Talent den Flammen zu übergeben wäre Verschwendung gewesen.
»Empfindest du Zuneigung für diese lügnerische Heidin?«
Fernando blickte auf. Er hatte keine Angst, aber er war wachsam. »Verwechsele nicht Zuneigung und Respekt.«
»Du hast Respekt vor ihr?«, sagte Honoré noch ein wenig schärfer.
»Respekt vor ihrem Mut, nicht vor ihrem Götzenglauben. «
Der Primarch lächelte. Mit Fernando zu reden war so, als wolle man einen Aal festhalten. Er entwand sich allem, was man gegen ihn auslegen konnte.
»Ich finde es mutig, wie sie diese Sache angeht. Wenn ich Luc wäre, würde ich sie allerdings trotzdem nie mehr wiedersehen
wollen. Ich …« Er hob das dünne Pergament auf und hielt es gegen das Fenster.
»Ist etwas?«
Fernando lachte. »Sie hat etwas mit einem sehr scharfen Messer ausgekratzt.«
»Kann das eine geheime Botschaft sein? Ahnt sie, dass wir ihre Briefe lesen?« Diese Sorge plagte Honoré von Anfang an. Luc und Gishild waren klug. Vielleicht verwendeten sie eine Sprache voller verborgener Anspielungen. »Was steht dort?«
Fernando öffnete das Fenster und hielt das Pergament gegen die helle Wintersonne. »Sie hat es überschrieben. Hier, hinter diesem Satz Aber ich will nicht mehr viele Worte machen stand einmal: Ich hoffe, dass du nicht bist wie ich. Wenn ich mir vorstelle, ich würde einen Brief wie diesen von dir bekommen, ich würde wahnsinnig vor Zorn und Eifersucht. Und ich würde dich nie mehr wiedersehen wollen.«
Fernando brach in schallendes Gelächter aus. »Das hätte ich ihm auch nicht geschrieben.«
Auch Honoré musste schmunzeln. »Ja, so kenne ich sie. Direkt und ohne Umschweife auf eine Sache zugehen. Aber ich hätte ein neues Pergament benutzt. Sie ist jetzt Königin. Über den Preis eines Bogens muss sie sich keine Gedanken mehr machen. Warum hat sie das getan? Luc könnte es doch genauso entdecken wie wir.«
Fernando zuckte nur mit den Schultern. »Vielleicht ist sie geizig?«
»Luc darf diese Zeilen nicht sehen. Er wird den Brief ohnehin schon schwer genug nehmen. Wenn er dann noch liest, dass sie mit ihm gebrochen hätte, wenn er sich so verhalten hätte wie sie … Das muss er wirklich nicht wissen. Nimm ein neues Pergament, Fernando!«
Der Schreiber schloss das Fenster. »Soll ich noch mehr ändern?«
Honoré seufzte. Am liebsten würde er den Brief zurückhalten. Aber Gishild hatte ganz recht. Luc würde auf jeden Fall von der Hochzeit erfahren. Er selbst wusste es bereits … Aber es war sein Ehrgeiz, solche Dinge vor allen anderen zu wissen. Luc konnte davon noch nicht erfahren haben. Freilich blieb nicht mehr viel Zeit. Zu viele Ritter und Novizen kannten Gishild. Diese Geschichte würde sich ausbreiten wie ein Lauffeuer. Luc sollte diesen verdammten Brief am besten noch heute bekommen. Aber wie konnte man dieser Botschaft die Schärfe nehmen?
Honoré nahm sich das Pergament und überflog erneut die Zeilen. Eine sehr ordentliche Handschrift hatte Gishild. Hatte der fast verborgene Text eine geheime Bedeutung? Es passte zu Gishilds Wesen, den Brief nicht ganz neu begonnen zu haben. Sie war ungestüm … Und sie hatte sich auch nie große Mühe gegeben, gänzlich zu verbergen, dass sie all die Jahre in Valloncour hindurch in ihrem Herzen doch eine Heidin geblieben war. Erlaubte das den Schluss, dass sie sich nun auch nicht allzu große Mühe gab, ihre wahren Gedanken zu verbergen? Luc hätte den Brief sicher Hunderte Male gelesen. Er wäre auf die schlecht
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