Die Albenmark: Elfenritter 2 - Roman
habe ich Gishild manchmal genannt. Meinen Nordstern.«
»Hm … Ich hatte mir schon gedacht, dass es irgendetwas Romantisches ist. Der Nordstern weist dem Steuermann die Richtung bei Nacht. Tut sie das, die Heidenkönigin? Weist sie dir die Richtung in deinem Leben?«
Luc beunruhigte die Wendung, die das Gespräch nahm. »Sie weist mir den Weg nach Albenmark.«
Honoré lachte. »Ich sehe, du hast unser Gespräch nicht vergessen, Luc. Es ist wichtig, sein Ziel nie aus den Augen zu verlieren. So wie der Seemann, der sich in der Finsternis am Nordstern orientiert. Du weißt, dass es einem Kapitän zusteht, seinem Schiff einen neuen Namen zu geben, wenn er das Kommando übernimmt? Ich habe den Verdacht, dass
ich den Namen deines Schiffes bereits kenne. Sie hat dich gewiss auch nicht vergessen, Luc.«
Er atmete tief ein. Luc konnte sehen, dass er Schmerzen hatte.
»Wir sind unserem Ziel so nahe!« Honoré deutete mit dem Stock auf die See hinaus. »Dort liegt das Tor, das uns nach Albenmark führen wird. Drustan war hier, um es für die Bruderschaft zu beobachten. Wir wissen genau, wo es ist. Und morgen Nacht wird ein Freund es für uns öffnen. Und dann holen wir uns Emerelles Kopf! Ich weiß Tag und Stunde, an denen sie in einem großen Hafen sein wird. Sie wird uns nicht entkommen können. Dafür ist gesorgt.« Er sah Luc an. »Für dich öffnet sich morgen das Tor, das dich zu deiner Liebsten führen wird.«
ZWISCHEN DEN WELTEN
Wütend enterte Luc das Fallreep zum Hauptdeck von Honorés Flaggschiff. Er konnte den Befehl einfach nicht verstehen! Wie konnte ihn Honoré ausgerechnet jetzt von der Nordstern abziehen? Nicht, dass seine neue Mannschaft nicht ausgezeichnet ohne ihn zurechtkäme … Vom Hauptdeck des Flaggschiffs aus konnte Luc beobachten, wie seine schlanke Lanterna auf den goldenen Lichtbogen zuhielt. Er hätte dort sein sollen, nicht hier!
»Bruder?« Ein junger Ordensritter war an Lucs Seite getreten. »Wenn du mir bitte folgen würdest?«
Luc nickte. Dann sah er zum Achterdeck. Dort schienen sich alle versammelt zu haben, die in der Neuen Ritterschaft Rang und Namen hatten: der Großmeister, der Ordensmarschall und der Bannerträger des Ordens. Die Gestalt, die sich in voller Rüstung etwas abseits hielt, war vermutlich Lilianne. Michelle stand beim Flottenmeister Alvarez. Sie bemerkte Luc und grüßte ihn mit knapper Geste. Im Licht der Hecklaternen sah die Narbe in ihrem Gesicht noch abstoßender als bei Tageslicht aus. Wer am Tag der blutigen Hochzeit bei der Ordensburg gewesen war, den hatten die Ereignisse gezeichnet, dachte Luc traurig. So viele waren verletzt worden oder gestorben.
Er blickte zum golden schillernden Lichtbogen, der jetzt fast ganz vom Schattenriss der Zorn Gottes verdeckt wurde. Morgen um diese Zeit würden die Elfen für dieses Massaker büßen. Für die toten Freunde und Kinder, für die ermordeten Heiligen der Tjuredkirche. Für alles, was sie der Welt seit dem Tod von Guillaume angetan hatten!
»Hier hinab«, sagte der Ritter, der ihn am Fallreep abgeholt hatte, und wies auf die enge Stiege, die vor dem Achterdeck hinab in den Schiffsrumpf führte.
Ein Trommelschlag erklang. Die wartenden Ruderer hoben ihre Riemen. Ein zweiter Schlag, und über hundert Ruder tauchten im gleichen Takt ins Wasser. Das Flaggschiff drehte bei und hielt auf den Lichtbogen zu.
Luc stieg die Treppe hinab.
»Hierher!« Seine Begleitung öffnete eine schmale Tür. Dahinter lag eine enge Kabine. Zwei Laternen erhellten die Kammer. In einer schmalen Koje lag Honoré. Sein Körper war gekrümmt, die Finger krallten sich ins Laken. Er stöhnte.
Der junge Ritter schloss hinter Luc die Tür.
Es stank nach dem Ruß der Laternen und nach Schweiß.
»Gut, dass du gekommen bist«, stöhnte Honoré. »Du musst mir helfen.«
Luc kniete neben der Koje nieder. Er musste sich zwingen, die grässliche Wunde in der Brust des Primarchen anzuschauen. Maden wanden sich im zerschundenen, eiternden Fleisch. Weiß schimmerte eine Rippe. Die Wunde war tief. Man konnte sehen, wie der Herzschlag das Fleisch in der Brust erzittern ließ.
»Meine Kraft reicht aus, den Tod in Schach zu halten«, flüsterte Honoré. »Doch heilen kann ich mich nicht. Du musst es tun!«
Luc hatte das schon einmal versucht und war gescheitert. Der Primarch konnte das doch nicht vergessen haben!
Wieder krümmte sich Honoré wie unter Krämpfen. So hager war er, dass sein Leib nur aus Muskeln und Sehnen zu bestehen schien.
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