Die Albenmark: Elfenritter 2 - Roman
Schweiß stand ihm auf dem Gesicht. »Zwischen den Welten, Luc … Da ist die Magie der Alben. Du musst es versuchen, wenn wir zwischen den Welten sind. An keinem anderen Ort wirst du so stark sein wie dort. Bitte … Ich ertrage es nicht mehr.«
Luc betrachtete die Maden in der Wunde. Er musste sie mit den Augen des Heilkundigen sehen, sonst würde ihn der Ekel übermannen! Die weißen Würmchen fraßen das kranke Fleisch. Kein Messer könnte so sauber schneiden, wie sie brandiges, totes Fleisch von gesundem trennten.
»Bitte, Luc!«
Das schillernd goldene Licht des Tores fiel durch das Kajütenfenster. Luc beugte sich vor und begann mit spitzen Fingern die Maden fortzuschnippen.
»Wenn das Horn ertönt, sind wir zwischen den Welten«, murmelte Honoré. »Dann musst du beginnen.«
»Ja, gewiss, Bruder.« Er legte eine Hand auf die Stirn Honorés.
Sie war kalt. Wieder bäumte sich der Primarch unter Schmerzen auf. Luc lauschte auf den Takt, in dem die Ruder ins aufgewühlte Wasser schnellten.
Luc nahm die letzte Made aus der Wunde und zerdrückte sie zwischen Daumen und Zeigefinger. Dann legte er seine Hand flach auf das klaffende Loch in der Brust des Primarchen.
Ein klagender Hornstoß erklang.
Luc schloss die Augen. Er konnte Honorés Schmerz fühlen. Den Augenblick, in dem die heiße Kugel in seine Brust geschlagen war.
Luc stöhnte. All die Jahre der Schmerzen teilte er mit dem Primarchen. Der junge Ritter zitterte am ganzen Leib. Sein Kopf sank nach vorn, auf den Bauch des Kranken. Kalter Schweiß benetzte Lucs Stirn. Eine fremde Kraft schnürte ihm wie Fesseln die Glieder zusammen. Die Kraft durchdrang ihn wie glühende Speere. Luc entließ seinen Schmerz in einem lang gezogenen Schrei. Zuckendes Fleisch wand sich unter seinen Fingern, als habe er in ein Schlangennest gepackt. Honoré lag plötzlich still. Der Schmerz hatte ihm die Sinne genommen.
Und dann traf Luc ein neuer Schmerz, unerwartet und fremd. Ein Schlag ins Gesicht. Heftig, scharf. Eine Klinge! Seine Haut brannte. Der Gestank von schmelzendem Körperfett und schwelendem Horn überlagerte alle anderen Gerüche. Seine Haare kräuselten sich und wurden Rauch.
Knoten in seiner Lunge engten ihm die Brust ein. Er spürte die alten Narben seiner Kameraden, überall auf seinem Leib. Ein schlecht verheilter Bruch richtete sich mit einem Ruck, der Knochen fand seine alte Form. Luc schrie. Es waren jetzt abgehackte, kurze Schreie. Und vom Deck antworteten ihm Dutzende anderer Schreie.
Luc spürte, wie ihm ein Glasauge aus der linken Augenhöhle glitt. Verdrängt von etwas, das an dessen Stelle gewachsen war. Sein Blut wurde dünn. Eiter troff wie Schweiß aus den Poren seines Leibes. Und dann zerriss er. Sein Leib wurde zerteilt. Er trieb durch ein Gespinst aus goldenen Lichtfäden. Weit entfernt schimmerte etwas Bleiches. Sein Antlitz. Er stürzte ihm entgegen. Immer schneller und schneller. Und dann verschlang ihn die Finsternis.
DIE BOTIN
Emerelle blickte in den Sonnenuntergang. Sie stand auf der schmalen Galerie am Heck der Prunkbarkasse, auf der sie in dieser Nacht erneut zur Königin Albenmarks gekrönt werden würde. Viele Stunden verharrte sie nun schon hier und sah aufs Meer hinaus. Wo blieb Hartgreif nur? Er war der einzige von Wolkentauchers Adlern, der in Vahan Calyd verblieben war. Der große Vogel hatte Gefallen daran gefunden, in den Mangroven Kaimane zu jagen. Am Morgen hatte Emerelle ihn ausgeschickt, um ihr Späher zu sein. Warum kam er nicht zurück? Auch der kleine Segler, den sie entsandt hatte, blieb verschwunden. Dafür mochte es tausend ganz banale Erklärungen geben. Und doch war Emerelle zutiefst beunruhigt. Mitten in der letzten Nacht war sie aufgeschreckt. Sie hatte eine Erschütterung im Netz der Albenpfade gespürt, so wie damals, als die Trolle nach Vahan Calyd gekommen waren. Doch diesmal war es noch stärker
gewesen. Als habe etwas Unsichtbares tief in ihre Brust gegriffen und das Unsterbliche in ihr berührt.
Emerelle erschauderte, wenn sie nur daran dachte. Sie hatte versucht, in der Silberschale zu ergründen, was geschehen war, aber sie konnte keine Bilder finden, die mit diesem Ereignis in Verbindung standen. Das Einzige, was sie in den vielen Stunden gewonnen hatte, die sie über die flache Schale gebeugt verbracht hatte, war die Gewissheit, dass die Trolle in dieser Nacht keinen Verrat planten, auch wenn König Orgrim noch immer nicht zum bevorstehenden Krönungsfest erschienen war. Seine kleine Flotte
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