Die Albenmark: Elfenritter 2 - Roman
Offiziersmesse nur geduckt stehen. Der kleine Raum war in ein notdürftiges Lazarett verwandelt worden. Den ganzen Tag über war Drustan in dieser stickigen Kammer gewesen und hatte um Leben gekämpft. Zwei Tote und siebzehn Verletzte: Das war der Preis für eine mangelhaft gegossene Kanone. Alvarez hatte sich geschworen, den Gießmeister zu finden, der für dieses Massaker verantwortlich war. Wenn Anne-Marie nicht das Schlimmste verhindert hätte … Nein, er mochte gar nicht daran denken. Das Mädchen war mehr tot als lebendig. Es stank in der Kammer immer noch nach dem Teer, mit dem Drustan ihren Stumpf eingerieben hatte. Alvarez besaß die Gabe ebenso wie Drustan. Er hatte an Deck geholfen, so gut er es vermochte. Und Luc? Tjured allein wusste, was mit dem Jungen war.
»Ich habe mit Michelle gesprochen«, flüsterte der Magister. »Der Kleine hat als Einziger in einem Pestdorf überlebt. Niemand kann sagen, wie lange er allein unter den Toten war. Und er hat sie von der Pest geheilt, obwohl sie schon ein schwarzes Mal trug. Sie dürfte eigentlich gar nicht mehr unter uns sein.« Er sah den Jungen an. »So wie er.«
»Aber du hast nicht zum Messer gegriffen.«
»Er ist doch mein Schüler.«
»Und jetzt soll ich sein Richter sein?«
Wieder schwieg Drustan.
»Ich mag ihn«, sagte Alvarez. Er dachte an den letzten Buhurt. Den unverschämten Betrug, durch den die stets glücklosen Löwen wenigstens einen einzigen Sieg errungen hatten.
Sie hatten mit ihren Wetten die halbe Ordensburg ausgeplündert. Das Spiel war eine einzige Frechheit gewesen. Aber sie hatten gegen keine niedergeschriebene Regel verstoßen. Alvarez’ Lächeln wurde breiter. Ja, er mochte Luc. So manches Mal hatte er sich vorgestellt, wie der Junge eines Tages ein berühmter Kapitän des Ordens sein würde. Bestimmt hatte er das Zeug zu einem guten Schiffsführer. Er würde sich bemühen, Luc als Decksoffizier auf die Windfänger zu bekommen, wenn er sich seine goldenen Sporen verdient hatte.
»Liliannes verdammter Vogel lebt noch. Was Luc getan hat, hat das Vieh nicht umgebracht.« Drustan sah elend aus. Er glaubte offensichtlich nicht mehr an den Jungen.
»Wir haben ihn auch nicht getötet«, wandte Alvarez ein.
»Aber wir waren auf dem Vordeck«, entgegnete der Magister. »Zu weit entfernt. Er tut es hier.«
»Es sind immer noch mehr als zwanzig Schritt bis zu dem Käfig.«
Drustan deutete auf den flachen Bauch des Jungen. »Sieh dir doch an, welche Kraft er hat. Dieser verdammte Adler müsste verreckt sein!«
»Hast du den Glauben an Tjured und seine Wunder verloren? Vielleicht sind wir gerade Zeugen eines solchen Wunders geworden. Vielleicht ist der Junge ein Geschenk Gottes. Stell dir vor, er wurde uns geschickt, um unserem Orden in diesen schwierigen Zeiten, in denen wir im Schatten des Aschenbaums zu vergehen drohen, zu neuer Größe zu verhelfen. Müsste so ein Kind nicht anders sein als die anderen? Müsste er uns in seinen Fähigkeiten nicht übertreffen? Und stell dir vor, wir töten ihn, weil er anders ist. Und weil es uns an Gottvertrauen mangelt.«
Drustan seufzte. »Er macht mir Angst.«
Alvarez legte ihm die Hand auf die Schulter. »Vertraue in Gott, mein Bruder. Lass uns Lucs Gaben nutzen. Zwei Novizen und drei meiner Männer sind dem Tod näher als dem Leben. Wenn Luc erwacht, kann er sie vielleicht retten. Wir werden ankern und ein Lager am Strand errichten.«
»›Wie Vampyre sind sie. In unserer Mitte. Sie tragen eine Menschenhaut, doch sind sie nicht wie wir. Was immer sie berühren, wird befleckt sein. Sie …‹«
»Ja«, unterbrach Alvarez ihn ärgerlich. »Auch ich habe Henri Épicier gelesen. Ich weiß. Aber lass uns doch seine Gabe nutzen. Jetzt kann er uns helfen. Und wenn wir zurückkehren, wird Leon ihn prüfen. Er wird die Wahrheit ans Licht bringen. Und wird ihn richten, ohne zu zögern. Du kennst ihn!«
Drustan griff nach dem Feldscherbesteck.
DIE FRAGENDEN
»Sie sind unter uns. Und sie sind nicht nur im Schatten. Im Lichte, wo man sie nicht sucht, sind sie am stärksten. Sie können dein Nachbar sein. Der Geliebte deiner Tochter. Und die schlimmsten von ihnen sind manchmal unsere geliebten Kinder. Die Albenkinder mögen auf den Schlachtfeldern verloren haben. Sie fürchten die Klingen unserer Ritter, geschärft durch Glauben und Enthaltsamkeit. Sie fürchten den klaren Blick des Aufrechten, den sie nicht zu blenden vermögen. Ihre Waffen sind Heimlichkeit und Täuschung. Und
das grausamste ihrer
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