Die Albenmark: Elfenritter 2 - Roman
auszukommen.«
Sonnenauge schlug einen Salto und lachte. »Nein, ich wette, ein guter Henker könnte alle Probleme lösen. Du musst nur den Mut haben, ihm zu befehlen.«
Niemand sonst bei Hof hätte sich herausgenommen, ihr einen solchen Rat zu erteilen. Eigentlich hätte sie Sonnenauge zurechtweisen sollen. Aber er hätte wohl nicht begriffen, warum sie das tat. Er war ausnehmend hübsch, mit seinen goldblonden Locken und den hellen, bernsteinfarbenen Augen. Seine Flügel mit ihrer schwarzgelben Zeichnung ließen ihn verwegen erscheinen. Und dass er sich vom linken Bein bis hinauf zur rechten Schulter und zum Halsansatz mit einem verschlungenen Spiralmuster hatte bemalen lassen, verstärkte den Eindruck noch. Er war ein fingerlanger Draufgänger. Das machte seinen Reiz aus. Sie sollte nicht versuchen, ihn zu verändern.
»Ich werde über deinen Rat nachdenken. Du hast die Erlaubnis, dem Besuch des Schwertmeisters beizuwohnen. Ich bin neugierig, welchen Rat du mir geben wirst, wenn er gegangen ist.«
»Es geht um den Schwertmeister!« Sonnenauge verharrte dicht vor ihrer Nase flügelschlagend in der Luft. »Du musst auf ihn hören! Er ist ein Held.«
Emerelle dachte flüchtig an einen Henker mit einer Fliegenpatsche. Sie wollte Sonnenauge gerade davonjagen, als sie Schritte hinter sich auf der Terrasse hörte.
Ollowain! Er sah noch immer gut aus. Die Jahrhunderte waren spurlos an ihm vorübergegangen. Vielleicht waren seine Züge ein wenig härter geworden und sein Blick etwas müder. Aber man musste ihn schon sehr gut kennen, um das zu bemerken. Er trug das lange blonde Haar offen. Und seine Augen waren von wunderbarem Grün. Manchmal wechselten sie die Farbe. Grün stand ihm am besten, fand Emerelle.
»Du hast mich rufen lassen, Herrin.«
Das fing schlecht an. Wenn er sie Herrin nannte, war er
in übler Laune. Sie wusste, dass er unter der Hitze litt. Er schwitzte ein wenig in seiner weißen Leinenrüstung und der kurzen Tunika. Ein Makel für einen Elfen. Auch darunter litt er. Und dennoch hatte er nun schon fünf Jahre in Vahan Calyd ausgehalten und seine Elfenritter so gedrillt, wie sie befohlen hatte.
»Ich weiß, wo wir Gishild finden.«
Er musterte sie misstrauisch. Vielleicht hatte er zu lange auf diese Nachricht gewartet. Und er spürte, dass etwas unausgesprochen geblieben war. Sie kannten einander zu gut.
»Ist Silwyna endlich zurückgekehrt?«
»Nein«, sagte Emerelle leise. »Sie ist ins Mondlicht gegangen. Aber sie hat eine Botschaft hinterlassen. Es ist eine verwickelte Geschichte.« Sie deutete zu dem Kartentisch, der im Schatten eines Sonnensegels am anderen Ende der Palastterrasse stand. »Gishild hält sich in Valloncour auf.«
»Sie ist eine Gefangene der Ritter vom Blutbaum?«
»Das weiß ich nicht. Ich kann Valloncour in meiner Silberschale nicht mehr sehen. Deshalb habe ich sie dort auch nicht gefunden. Du kennst Valloncour?«
Der Schwertmeister schüttelte den Kopf. »Nein. Ich war nie da. Ich weiß, dass die Ritter vom Blutbaum dort ihre Novizen ausbilden. Es ist eine Halbinsel nicht weit von Marcilla und gilt als uneinnehmbar.« Er lächelte zynisch. »Nach den Maßstäben der Menschenkinder.«
So war er früher nicht, dachte Emerelle. Etwas an seiner Ritterlichkeit hatte Schaden genommen. War das ihre Schuld? Hatte sie zu viel von ihm verlangt? Sie wandte sich ab und ging zum Kartentisch. Sonnenauge landete auf ihrer rechten Schulter und hielt sich an einer Haarsträhne fest. Er verhielt sich Ollowain gegenüber ungewöhnlich respektvoll. Emerelle konnte sich nicht erinnern, dass Sonnenauge in der
kurzen Zeit in ihrem Dienst schon einmal so lange durchgehalten hatte, ohne mit irgendwelchen Kapriolen auf sich aufmerksam zu machen.
Ein Blick auf die Karte genügte, und Ollowains Züge verhärteten sich.
»Ja, ich weiß, die Karte ist fast siebenhundert Jahre alt«, begann Emerelle. »Es ist die beste, die wir …«
Der Schwertmeister deutete auf die Riffe und Inseln rings um Valloncour. »Das hier wird uns Ärger machen. Die Zahlen zu den Wassertiefen! Wir kommen nicht nahe an die Küste heran. Die neuen Schiffe sind erprobt und haben sich bewährt. Selbst bei schweren Stürmen haben sie hervorragende Segeleigenschaften. Brandax hat ausgezeichnete Arbeit geleistet. Aber sie sind zu breit, um in so engem Fahrwasser zu manövrieren. Durch diese Riffe kommen wir nicht hindurch … Und wir wissen überhaupt nicht, was uns auf der Insel erwartet. Es soll Festungen geben, die
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