Die Albertis: Roman (German Edition)
Nächstes fahren meine Mutter und ich nach Hamburg und holen ihn!», erklärte Edward.
«Ah, das finde ich nett von dir!», sagte Paul.
«Ich kann doch auch allein fahren, Edward, du brauchst nicht mitzukommen.»
«Doch. Ich möchte aber.»
Kurz vor zwölf parkte Edward den Volvo vor dem Mietshaus ein, in dem Wolf seine Wohnung hatte. Es war ein modernes Haus an der Grenze zwischen Altona und den Elbvororten, es lag in einer ruhigen Seitenstraße, und es bestand – bis auf die Penthouse-Wohnung, in der die Eigentümerin lebte nur aus Zwei-Zimmer-Apartments. Wolf wohnte im Erdgeschoss. Edward klingelte. Als habe er die ganze Zeit hinter der Tür gestanden, machte Wolf sofort auf.
Wolf und Anne begrüßten sich mit einem Kuss auf die Wange.
«Hi, Wolf!», sagte Edward. «Wo ist denn der Ausreißer, hä?»
Luis saß in der Küche. Sie war ziemlich neu, perfekt aufgeräumt und sauber, und wirkte, als würde hier nie gekocht. Luis senkte den Blick, als sein Bruder und seine Mutter hereinkamen.
«Luis!», rief Edward und schüttelte seinem Bruder zärtlich den Kopf. «Findest du nicht, wir haben genug Stress in der Familie? Was machst du nur für eine Kacke?»
Luis war seltsam still. Anne beugte sich zu ihm hinunter, umarmte ihn und flüsterte ihm ins Ohr: «Ich habe mir Sorgen gemacht. Das darfst du nie wieder tun. Ich habe dich sehr lieb. Wir haben dich alle sehr lieb.»
«Warum habt ihr mir das nicht gesagt?», brach es aus Luis heraus.
«Das habe ich dir doch schon erklärt!», antwortete Wolf, der in der Tür stehen geblieben war. «Das hat nicht nur deine Mutter allein so gewollt, sondern auch ich.»
«Wir wollten es dir sagen, wenn du so weit bist», ergänzte Anne. Es klang kläglich.
«Kann ich euch was anbieten?», fragte Wolf. «Etwas zu trinken?»
«Wir haben gerade gefrühstückt, Pa!»
Anne lehnte sich gegen die Fensterbank. «Was machen wir denn jetzt? Willst du wieder mitkommen, Luis, oder ...» Den Rest des Satzes mochte sie nicht einmal denken.
«Natürlich kommt er wieder mit!» Eine junge Frau tauchte neben Wolf in der Tür auf. Sie hatte ein ärmelloses, enges Sommerkleid an, dessen Farbe von frischen Veilchen einen hübschen Kontrast zu ihrem roten Haar bildete, und das eng geschnitten war und ihre runden, weiblichen Formen bet0nte. Anne war verblüfft, dass eine Fremde in Wolfs Wohnung war. Irgendwie kannte Anne sie, doch sie erinnerte sich nicht genau woher.
«Das ist Brigitte», stellte Wolf vor.
Die Frau kam zu Anne begrüßte erst sie, dann Edward. «Und das ist der Älteste von der Truppe?»
«Ich bin Edward.»
Luis schien seine alte Form wieder zu finden: «Das ist Papas Freundin. Sie wollen heiraten.»
«Danke!», sagte Brigitte und lachte hell auf. «Aber wenn wir schon mal bei der Wahrheit sind, nicht wahr Luis, wo wir doch jetzt keine Geheimnisse mehr voreinander haben: Sie werden sich an mich wohl nicht mehr erinnern, aber wir kennen uns aus dem Krankenhaus. Damals.» Sie ging zu Wolf und drückte sich an ihn. «Ich war seine Krankenschwester.»
Plötzlich war Anne wieder im Bilde. Ein wenig war sie gekränkt. Das hätte er ihr ja auch mal erzählen können, bei ihren zahlreichen Telefongesprächen. Ständig hatte sie das Gefühl gehabt, wenn sie danach den Hörer auflegte, am anderen Ende einen einsamen Mann zurückzulassen. Dabei hatte er sich längst mit einer anderen getröstet. Das musste sie Ebba erzählen! Eine Krankenschwester. Wie sagte ihre Freundin immer? Das passt ja mal wieder richtig in die Raupensammlung!
«Also du Adoptivkind ...», erklärte Brigitte.
Kurze Schrecksekunde. Anne und Edward sahen sich an.
Brigitte bemerkte das. «Das muss er abkönnen. Und außerdem haben wir die ganze Nacht damit verbracht, ihm zu erzählen, wie alles kam, nicht wahr Wolf, wie gut es ihm doch geht, wie behütet er aufgewachsen ist ...»
«In Indien leben die Kinder auf der Straße!», quakte Luis dazwischen.
«... genau. Ich sage immer: Let's face it. So liegen die Dinge. Jeder muss verbraucht werden, wie er ist. Nun ist er weggelaufen, und nun haben wir ihn hier übernachten lassen. Und jetzt weiß er alles. Und damit haben wir diesen Sturm auch überstanden, was Luis?»
Er nickte eifrig. Brigittes schlichte Thesen schienen ihn zu überzeugen. «Also: Pack deinen Rucksack. Dein Vater und ich möchten nämlich den Rest des Tages für uns allein haben. Um acht muss ich im Krankenhaus sein. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch, Frau Alberti.»
«Nein, überhaupt
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