Die Albertis: Roman (German Edition)
war sie gewesen, als Luis in ihrem Leben auftauchte. Luis der Süden. Das leichte, fröhliche, sonnige Kind, nach dieser schweren Zeit, die sie nach Tholes Tod gehabt hatte und in der sie sich schuldig gefühlt und geglaubt hatte Wolf mache sie für das Unglück verantwortlich. Damals hatte ihre Ehe den ersten großen Knacks bekommen. Doch mit Luis, dem kleinen, kreischenden, glucksenden, liebeshungrigen Bündel, das sie, eng an sich gedrückt, endlich, endlich, nachdem die Behörden ihren Segen dazu gegeben hatten, mit nach Hause brachte, kehrte wieder Frieden ein, Frieden und Freude. Anne hatte das alles verdrängt, doch in dieser Nacht, als sie wach neben Paul im Bett lag, kehrten die Bilder zurück und ließen sie erst in den Morgenstunden einschlafen.
Gegen halb zehn kam sie in die Küche. Zu ihrem Erstaunen war Edward da. Von Paul hatte er bereits erfahren, was passiert war. Er war sehr lieb zu seiner Mutter, hatte bereits im Esszimmer den Frühstückstisch gedeckt und brachte ihr eine Kanne frisch gebrühten Tee.
«Wieso bist du schon da?», fragte sie verschlafen und goss sich eine Tasse ein.
Er nahm ihr gegenüber Platz. «Hatte Krach mit Colleen.»
«Was Ernstes?»
Edward riss den Deckel eines Fruchtjoghurts ab, tauchte seinen Löffel ein, rührte bedächtig um und begann zu essen. «Es ist aus.»
«Ach Edward! Das tut mir Leid. Aus aus? Oder nur aus?» «Aus aus. Liegt an mir. Ich hatte keine Lust mehr.»
«Was ist denn passiert?»
«Mama! Wenn ich drüber reden wollte, würde ich es tun!»
Sie nahm zwei Scheiben Toast aus dem Brotkorb. Sie waren halb verbrannt. Mit einem Messer kratzte sie das Schwarze herunter.
«Hab nicht aufgepasst!», erklärte Edward. «Und die Eier sind bestimmt hart.»
«Hast du Paul gesehen, Liebling?»
«Er ist joggen und dann holt er die Zeitung am Bahnhof.»
«Ich muss nämlich gleich ...», Anne schob den linken Ärmel des Morgenmantels hoch und sah auf ihre Armbanduhr, «... los und Luis abholen.»
«Das kann ich doch machen!»
«Lieb von dir.» Sie bestrich eine Toastscheibe mit Butter und reichte sie Edward hinüber. «Aber das muss ich schon selber tun.» Sie leckte von ihrem Zeigefinger ein Stück Butter ab.
Edward drehte das Glas mit der von Frau Merk eingekochten Erdbeermarmelade, die alle im Hause besonders mochten, und gab sich einen Klecks davon auf sein Brot. Pavel kam ins Esszimmer, wie immer nur mit Unterhose bekleidet.
«Morgen!», nuschelte er, setzte sich neben seinen Bruder und sah sich um. «Keine Wurst?»
«Keine Klamotten?», erwiderte Edward.
«Wir wollen das mal ein bisschen reduzieren!» Anne biss von dem trockenen Toast ab. «Du kannst mein Ei haben!» Sie stellte es Pavel vor die Nase.
«Machst du immer noch Diät?», fragte Edward seine Mutter kauend.
«Wir haben doch gestern derartig viel gefressen, bei den Lissmanns drüben ...»
«Das sind vielleicht Vögel», meinte Pavel und nahm sich Kaffee.
«Ich fand es nett.»
«Die Alte hat 'ne kleine Unwucht im Schritt, würde ich mal sagen!», kommentierte Pavel und nahm sich Sahne zum Kaffee.
Anne schüttelte den Kopf, ihre Söhne lachten grölend los. Laura tauchte auf. Sie war bereits angezogen und trug ein nabelfreies, enges T-Shirt aus rotem Glanzstoff und Jeans, auf die sie bunte Perlen und kleine Spiegel geklebt hatte.
«Morgen!», zwitscherte sie. Es schien einer dieser raren Tage zu sein, an denen man gut mit ihr auskommen konnte. Kaum hatte sie angefangen zu frühstücken, betraten zeitgleich Anuschka und Paul den Raum. Paul gab Anne einen Kuss und legte die Zeitungen auf den Tisch. Pavel rückte zur Seite, weil er wollte, dass sich Anuschka neben ihn setzte. Sie bedankte sich bei ihm mit einem Lächeln, er schenkte ihr Tee ein und langte quer über den Tisch, um ihr Milch und Müsli zu geben. Erstaunt bemerkte Anne, wie aufmerksam er war. Was war da los? Noch ein Familiengeheimnis?
«Wo ist Luis?», erkundigte sich Laura.
«Na, wo soll er sein? Pennen!», meinte Anuschka.
Paul räusperte sich so, als wolle er eine Ansprache halten, und rückte sich seinen Stuhl am Kopfende des Tisches zurecht. Dann setzte er sich und berichtete von den Vorfällen der vergangenen Nacht. Er erzählte Luis' Geschichte, die Anuschka und Laura noch nicht kannten. Während seine jüngere Tochter einfach nur baff dasaß, fand seine älteste schnell ihre Sprache wieder.
«Immer eine neue Überraschung in dieser Familie!», sagte sie. «Ich bin gespannt, was als Nächstes kommt.»
«Als
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