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Die Albertis: Roman (German Edition)

Die Albertis: Roman (German Edition)

Titel: Die Albertis: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Pfannenschmidt
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tauchte auf, sein Geburtsdatum, der Geburtsort, aber irgendetwas schien nicht zu stimmen. Was für ein Name? Was für ein Ort? Was bedeuteten die Briefe seiner Eltern, die Behördenschreiben, die handschriftlichen Anmerkungen, die auf vergilbte Zettel gekritzelt waren? Plötzlich war es ihm klar, schlagartig kannte er das Geheimnis: Er war keiner der Ihren, er war nicht der leibliche Sohn von Anne und Wolf, nicht ihr eigen Fleisch und Blut, und es bestätigte sich jene ferne Ahnung, dieses unerklärliche Gefühl, anders zu sein und anders auszusehen.

KAPITEL 15
    Edward
    Nein, ich hatte wirklich das Gefühl, Paul! Die Lissmann hat dich den ganzen Abend über nicht aus den Augen gelassen. Und er hat auch so komische Andeutungen gemacht.»
    Paul lachte auf. «Nachbarschafts-Gruppensex? Auf dem Ohr bin ich taub. Davon habe ich überhaupt nichts gemerkt.»
    «Vielleicht bin ich auch einfach nur zu sensibilisiert bei diesem Thema. Oder zu verklemmt. Habe ich schon heute Mittag beim Essen mit Ebba gedacht.»
    «Ich finde überhaupt nicht, dass du verklemmt bist, Anne.»
    Paul legte den Arm um ihre Schulter. Eng umschlungen gingen sie nach Hause. Es war weit nach Mitternacht. Ein heftiger Sommerregen hatte sie kurz nach elf aus dem Garten der Lissmanns nach drinnen vertrieben. Die Kinder waren längst weg. Paul und Anne hatten bei einem Cognac abgewartet, bis er vorbei war, und sich dann verabschiedet. So plötzlich wie das Unwetter gekommen war, hatte es sich verzogen. Auf der Straße standen dicke Pfützen, schwarzen Spiegeln gleich, in denen der Himmel widerschien, Sterne lagen funkelnd am Boden und die Sichel des Mondes. Anne blieb stehen, zog ihre Schuhe aus und tapste durch das Wasser. Es war angenehm kühl. Mit ihren Zehen zog sie wie eine Wellenreiterin Bahnen, ließ es mit ausgestrecktem Bein hoch aufspritzen.
    «Du bist manchmal wie ein süßes, kleines Mädchen.» Im Gehen küsste er sie aufs Haar.
    Das Haus war dunkel. Leise schlossen sie auf, gingen hinein. Paul machte das Dielenfenster zu, dann folgte er Anne nach oben. Im Bad machten sie sich fertig, sprachen kaum etwas, denn beide waren müde.
    «Ich gucke nochmal nach den Kindern!», sagte Anne und schlüpfte in ihren Morgenmantel. Das war so eine Angewohnheit von ihr, von der sie nicht lassen konnte. Angefangen hatte es bei Edward. Als er noch ein Baby war, stand sie mehrmals in der Nacht auf, besonders wenn er nicht schrie, und sah nach ihm, stand minutenlang in seinem Zimmer, an seinem Bettchen, stand da im Dunkeln und lauschte, ob er noch atmete. Bei Pavel war es nicht anders gewesen, und auch nicht bei Luis. Wolf hatte immer behauptet, sie sei neurotisch, und verlangt, sie solle es sich abgewöhnen. Doch sie blieb dabei, regelmäßig nach ihren Söhnen zu gucken, bis eines Tages Edward in einem Alter war, wo er sie aus seinem Zimmer rausschmiss. Mittlerweile kam es nur noch selten vor.
    Da sie in dieser Nacht wusste, dass Edward bei Colleen schlief und sie sich schon längst nicht mehr traute, in Pavels Zimmer zu gehen, wenn er im Bett lag, wollte sie nur nach Luis gucken und vor allem kontrollieren, ob er auch wirklich schlief. Leise machte sie die Tür auf. Sein Bett war unbenutzt. Sie knipste das Licht an. Luis war nicht da. Anne lief barfuß nach unten, guckte in der Küche nach ihm, im Esszimmer und im Wohnzimmer: Er war nicht da. Sie rannte nach oben, öffnete vorsichtig erst die Tür zu Anuschkas Zimmer und dann die von Laura, beide Mädchen schliefen und merkten nichts davon. Anne kehrte aufgeregt zu Paul zurück, der bereits im Bett lag.
    «Luis ist weg!», sagte sie und spürte erst jetzt, wie Panik in ihr hochstieg.
    «Was?»
    «Er ist nicht da!», rief sie. «Verstehst du denn nicht?»
    «Aber das kann doch nicht sein.» Paul sprang aus dem Bett.
    Gemeinsam durchsuchten sie das ganze Haus, von Edwards Studio bis hinunter in den Keller, selbst in der Praxis sahen sie nach ihm. Es gab keine Spur von dem Jungen. Als sie ins Arbeitszimmer kamen und Licht machten, entdeckten sie auf dem Fußboden den Aktenordner. Luis hatte ihn dort aufgeschlagen liegen lassen.
    «So!», sagte Paul. «Jetzt haben wir die Bescherung.» Er wurde wütend. Schon oft hatte er Anne aufgefordert, Luis reinen Wein einzuschenken. Aber sie war der Meinung gewesen – die im Übrigen auch Wolf vertrat –, dass er noch zu jung sei, um die Wahrheit zu erfahren. Von Anfang an hatten sie beschlossen, es ihm erst zu sagen, wenn er die Pubertät hinter sich habe. In diesem

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