Die Albertis: Roman (German Edition)
erziehen.«
»Du erziehst sie nicht, sondern ich. Du wirst nur gefragt bei wichtigen Entscheidungen.«
»Aber ich lebe im Haus. Es wird jede Menge Unruhe geben. Und glaube ja nicht, ich spiele Babysitter, wenn du mal mit Hubert verreisen willst. Ich bin dem nicht gewachsen, ich habe eine zarte Gesundheit.«
»Du hast doch eine Gesundheit wie ein Pferd und wirst uns noch alle überleben. Und wegen der Reisen mit Hubert brauchst du dir keine Sorgen machen. Hubert hat zum Rückzug geblasen, so elegant und verlegen wie ein Tanzstundenjüngling, der bemerkt, dass seine Angebetete Schuhgröße 48 hat.«
»Du meinst, aus eurer Hochzeit wird nichts?«
»Von Heirat war sowieso nie die Rede. Aber jetzt, mit den Kindern … Nein, Hubert sucht eher etwas für Madeira und die Salzburger Festspiele. Keine Popmusik, Jeans und zerschundene Knie.« Judith lachte. »Egal, Mutter. Stell’ dir vor: Eine Menge junger Leute wird ins Haus kommen, Oliver wird im Kirschbaum sitzen, Stefanie mit ihren Freundinnen im Garten toben … Ach, ich freue mich schrecklich. Gleich morgen werde ich mit den Kindern telefonieren.«
»Ich nicht. Ich freue mich nicht, damit du es nur weißt.« Lilli zog eine Grimasse.
»Weil du eben keine Phantasie hast. Das ist es.« Judith küsste ihre Mutter auf die Stirn und klopfte beim Hinausgehen nochmals vergnügt gegen die Scheibe. »Keine Phantasie und null Bock auf Arbeit, du störrisches Großmütterlein, stimmt’s?«, rief sie übermütig.
Auch in Ulm hing der Mond prall und gelb am Himmel und wetteiferte mit den Straßenlaternen, die die dunklen Zimmer erleuchteten, in denen bereits alle schliefen. Fast alle.
»Bist du noch wach?«, fragte Steffi. Sie saß auf der Bettcouch im Gästezimmer von Anna und Konrad und starrte auf Claudia, deren blonde Locken auf dem weißen Kissen lagen und die sehr jung und verführerisch wirkte.
»Nein. Ich denke nach.«
»München?«
»Ja.«
»Magst du Judith?«
»Na ja. Sie ist ganz nett. Aber furchtbar spießig. Wenn man bedenkt, dass sie sogar zwei Jahre jünger ist, wie Mutter war …«
»Und der Typ erst, den sie da kannte. Dieser Hubert. Meinst du, die heiraten, die beiden?«
Claudia richtete sich auf. »Nur über meine Leiche, das sag’ ich dir. Der ist ja schlimmer als unser Mathe-Lehrer. Bevor der einen Witz macht, bringt er sich lieber um.«
»Aber ich glaube doch, dass er sie heiratet. So alt wie der ist, kriegt der doch keine andere mehr.«
»Da muss sie uns jetzt eigentlich fragen, ob wir einverstanden sind.«
»Glaube ich nicht, dass sie das muss. Es ist besser, wir lassen uns etwas einfallen.«
»Wir ekeln ihn raus. Ganz einfach.«
»Oder wir möbeln Judith ein bisschen auf. Dann findet sie vielleicht noch einen Jüngeren und muss nicht diesen Grufti an Land ziehen. Wenn einer schon Hubert heißt und Regierungsrat ist. Also wirklich! Mit dem muss man sich ja überall schämen.«
»Und seine Hosen hatten so messerscharfe Bügelfalten, als wolle er damit gleich zum Angriff übergehen.« Claudia kicherte.
»Du könntest ihn ja mal ein bisschen verführen. Judith will bestimmt keinen entjungferten Regierungsrat, spießig wie sie ist.«
»Nein, danke, mir ist schon schlecht. Lieber geh ich ins Kloster.«
»Okay, dann nicht. Dann ekeln wir. Ich hab’ ‘ne Idee … wir setzen Olivers Goldhamster auf seine Bügelfalten an. Das macht ihn fertig, ich schwör’s dir.« Nun kicherte auch Steffi.
Judith schlief den Schlaf des Gerechten, nicht ahnend, dass der einzige Mann, der sich in den letzten Jahren für sie interessiert hatte, vergrault werden sollte. Im Gegenteil, sie sah sich im Traum inmitten einer Schar Kinder stehen, mit einem alten Trenchcoat, den Bräutigam herbeisehnend.
»Wo ist er?«, fragte der Pfarrer streng.
»Er kommt noch«, antwortete Judith. »Ganz bestimmt.« Sie wartete zehnzehntel Sekunden, den ganzen langen Traum hindurch. Aber er kam nicht. Leider.
2. KAPITEL
»Seht euch heute noch mal gründlich um«, sagte Judith eine Woche später übermütig zu Lilli und Hubert, »In ein paar Tagen herrscht hier nämlich Tohuwabohu. Herr Petersen will mir beim Möbelverrücken helfen, Herr Möllemann steht schon mit Pinsel und Farbeimer bereit, und seine Frau hat mir Gardinen für Olivers Zimmer versprochen.«
Sie legte Lilli ein Stück Erdbeertorte auf den Teller und versuchte, Huberts Leichenbittermiene zu ignorieren. Denn fürwahr, der Gesichtsausdruck eines Mannes, der sie mit drei Kindern und einer exzentrischen Mutter
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