Die Albertis: Roman (German Edition)
diskutieren?«
»Du meinst, wenn Lilli nicht anwesend ist? Ich bitte dich.«
»Nun gut. Dann eben gleich. Die Art unseres Zusammenlebens richtet sich nach deinem Verhalten.«
»Nach meinem Verhalten? Wie hättest du es denn gern? Dass ich euch sonntagnachmittags, ein paar Blümchen in der Hand, besuche? Und dir einen züchtigen Kuss auf die Stirn und mir eine Indianerfeder ins Haar drücke und mit Oliver im Gebüsch herumkrieche? Oder Puppenopa spiele für Stephanies Babypuppen?« Er maß Judith mit einem nahezu feindseligen Blick. »Und am Abend«, fuhr er ironisch fort, »am Abend verabschiede ich mich artig, streiche den Kindern liebevoll über die erhitzten Wangen und gehe fröhlich meiner Wege.«
»Nun, so ähnlich vielleicht. Nur die Blümchen kannst du dir sparen. Und mehr als einen züchtigen Begrüßungskuss habe ich bis jetzt auch nicht bekommen. Oder willst du etwa behaupten, du hättest mich Sonntag für Sonntag leidenschaftlich in deine Arme genommen und mir beteuert, wie unerträglich die letzten Stunden des Wartens für dich gewesen wären? Na? Also. Und artig verabschieden bräuchtest du dich auch nicht. Die Kinder sind schließlich alt genug und leben nicht hinter’m Mond. Sie haben bestimmt schon von Verhältnissen gehört.«
»Verhältnissen?«, fragte Hubert gedehnt.
»Wie würdest du unsere Art des Zusammenlebens denn bezeichnen? Wir haben doch ein Verhältnis?«
Huberts Gesicht rötete sich. »Du wirst ziemlich gewöhnlich in letzter Zeit.«
»Seit wann ist ein Verhältnis denn gewöhnlich? Ein Verhältnis kann nett sein oder traurig, es kann enden oder anfangen. Ob es gewöhnlich ist, bestimmen die Verhältnispartner.« Hubert erhob sich: »Der eine Verhältnispartner mäht jetzt den Rasen.«
»Ganz wie ein alter Ehemann. Ehemänner pflegen sich auch hinter Zeitungen oder Rasenmähern zu verschanzen, wenn das Thema ungemütlich wird.«
Lilli sah ihm kichernd nach. »Ich bin zwar nicht immer mit dir einverstanden, liebste Judith. Genau genommen bin ich sogar sehr selten mit dir einer Meinung. Aber die neue Art, dich mit Hubert zu unterhalten, gefällt mir. Sie gefällt mir sogar außerordentlich.«
Ihre neue Art, sich mit Hubert zu unterhalten … Judith saß ein paar Stunden später in einem bequemen Hauskleid auf der Terrasse und aß einen Apfel. Der Mond hatte einen silbrigen Schleier, die Sterne blinkten kühl aus der Ferne. Judith spuckte die Apfelkerne durch das Rosenspalier und betrachtete nachdenklich einen dicken braunen Käfer, der auf dem Rücken lag und mit den Beinen zappelte. Ob ihre Freundschaft mit Hubert sich dem Ende zuneigte? Sie fühlte sich unbehaglich bei diesem Gedanken. Eine Frau mittleren Alters, alleine mit drei Kindern … Ein sonderbares Gefühl überkam sie. Denn Hubert hatte auch seine guten Seiten. Er war, beispielsweise, sehr belesen, korrekt und gescheit. Er war anständig, und zwar in der Weise, dass er nie mit dem Gesetz in Konflikt kam, sich an Spielregeln hielt und seine festgefügten Meinungen sich stets mit den allgemein gültigen deckten. Er war auch ein angenehmer Gesellschafter, ein bisschen langweilig vielleicht, doch er verstand, und das war bisher sehr wichtig in ihrer beider Leben, zu reisen und diese Reisen zu kleinen, wohlgeordneten Erlebnissen zu gestalten. Er besorgte die Tickets, er kaufte die Reiseliteratur, er sprach englisch, französisch, etwas spanisch, er konnte feilschen wie ein Bazarhändler und brachte auch das schlampigste Zimmermädchen zur Räson. Er wusste, wer wann wie viel und warum Trinkgelder bekam; er konnte den Koffer tausendmal besser packen als sie, er hielt die Straßenkarten nicht verkehrt herum und sagte auf Anhieb und nach einem Blick gen Himmel, ob man nach Westen fuhr oder nach Osten oder Richtung Antarktis. Und diesen Ausbund an Tüchtigkeit und Zuverlässigkeit hatte sie so vor den Kopf gestoßen! Ts. Judith zuckte mit den Achseln. Nein, danke, hatte er gesagt, als sie ihm zum Abendessen Schinkentoast und Bier anbot. Still und verdrossen schmierte er sich stattdessen Quark und Schnittlauch auf ein urgesundes Knäckebrot, trank Mineralwasser und gebärdete sich als der Ausbund an Tugendhaftigkeit gegenüber einer genüsslich in den saftigen Schinken beißenden und ihr Glas Wein schlürfenden Judith. Auch den Sonntagabend-Krimi verschmähte er. Ein schlechtes Zeichen. Normalerweise liebte er nämlich dies bisschen wöchentliche Aufregung am Bildschirm. Männer, die mit Pistolen herumfuchtelten, flapsige
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