Die Albertis: Roman (German Edition)
Sprüche klopften und rassige Blondinen an ihre dicht behaarte Brust zogen. Denn in Huberts wohlgeordnetem Tagesablauf fehlte eindeutig die Spannung, und sein bislang schlimmstes Erlebnis gipfelte in dem versehentlichen Besuch eines zweifelhaften Etablissements mit einer vollbusigen Bardame und einem rauhbeinigen Wirt. Doch sogar der rauhbeinige Wirt hatte nach einem Blick in Huberts helle Augen nicht mehr gewagt, die einhundertdreißig Mark und fünfzig Pfennige für zwei Piccolos zu verlangen. Und die vollbusige Barfrau verzog sich hinter die Theke, als Hubert sie kalt von Kopf bis Fuß musterte.
»Abgründe taten sich auf«, sagte er jedes Mal, wenn er die Geschichte zum Besten gab.
Judith seufzte und lehnte ihren Kopf gegen die Mauer des Hauses, die alt und rauh und noch warm von der Hitze des Tages war. Nicht einmal geküsst hatte er sie zum Abschied. Weder züchtig noch zärtlich, noch leidenschaftlich, sondern überhaupt nicht. Er hatte sich verabschiedet wie ein Finanzbeamter von einem säumigen Steuerzahler und ihr einen so durchdringenden Blick zugeworfen, dass sie auf der Stelle das Gefühl bekam, drei Jahre alt zu sein und aufs Töpfchen zu müssen.
Am nächsten Morgen – Judith wollte gerade das Haus verlassen – klopfte Lilli kurz ans Fenster. Sie trug ein kleines Köfferchen und sah zum Anbeißen frisch und unternehmungslustig aus.
»Mutter! Was ist denn in dich gefahren? So früh auf den Beinen? Bist du krank?«
»Ich verreise für ein paar Tage. Ich muss dringend zu Lydia. Sie hat wieder ihre Sommer-Influenza. Ich muss ihr leider ein wenig Gesellschaft leisten.« Sie schenkte Judith ein leidendes Krankenschwester-Lächeln und seufzte.
»Du meinst, ab morgen stehen sowieso die Handwerker ins Haus. Und Herr Möllemann rückt an mit Eimer und Farbe.«
»Es ist mir wirklich unangenehm, Judith, dass ich jetzt nicht helfen kann.«
»Tatsächlich? Ich dachte eher, du willst Reißaus nehmen. Ich weiß, wie sehr du alles hasst, was nach Farbe, Kleister und Putzmittel riecht.«
»Ich reiße niemals aus. Ich habe Lydias Krankheit nicht bestellt. Außerdem – hast du nicht ab morgen Urlaub?«
»Ja, Mutter«, antwortete Judith sarkastisch. »Ich habe ab morgen Urlaub.«
»Und Hubert wird doch sicher ein bisschen helfen?«
»Der wird sich hüten. Das käme ja fast einer Kapitulation gleich.«
»Na, du schaffst das schon«, sagte Lilli und zeigte ein paar blitzende Zähne, als sie Judith zuwinkte.
In Judiths Büro, das sie mit Frau Kleinschmidt teilte, lag bereits ein Zettel auf der Schreibmaschine. »Bitte Hubert, den Gestrengen, anrufen. Bin selber auch beim Diktat. Uff!« Judith lächelte. Sie verstand sich ausgezeichnet mit Frau Kleinschmidt, mit der sie ein Zimmer teilte und die sie oft um ihren unverwüstlichen Humor beneidete.
Sie griff nach dem Telefon. »Hallo, Hubert?«
»Guten Morgen. Ich wollte dir nur sagen, dass ich Fräulein Martens gebeten habe, schon ab heute für mich zu arbeiten. Dann kannst du in Ruhe deinen Schreibtisch aufräumen, bevor du in Urlaub gehst.«
»Wie lieb von dir, Hubert. Ich muss nämlich noch eine Menge erledigen. Die Ulmer Spedition will die Möbel der Kinder liefern, viel zu früh, wie du weißt und …«
»Sei mir nicht böse, aber ich bin sehr beschäftigt. Außerdem … du brauchst mich nicht einzuweihen in deine internen Familienangelegenheiten. Ich habe dir schon einmal gesagt: Es war dein Entschluss, nicht meiner.« Er legte auf.
»Na? Was gucken Sie denn so wild?«
Ruth Kleinschmidt, eine mollige Frau um die fünfzig mit gutmütigem, rundem Gesicht und kurzgeschnittenem grauem Haar, kam, einen Stoß Akten tragend, ins Zimmer.
»Mein Hubert ist sauer«, sagte Judith. »Er will partout nicht Vater werden.«
Ruth Kleinschmidt lachte. »Ich halte mich da raus. Sie wissen ja, was ich über Ihren Regierungsrat denke. Ja, ja, er ist ein Gentleman vom Scheitel bis zur Sohle. Aber ein Gentleman hat selten eine Frau glücklich gemacht. Von Spaß ganz zu schweigen. Außerdem … Sie sind viel zu jung für ihn.«
»Ich? Ich bin schon vierzig. Und komme mir manches Mal uralt vor. Mit all meinen langweiligen Kleidern, dem dummen Haarschnitt und dem faden Gesicht.«
»O Gott, o Gott. Warum tut die Erde sich nicht auf und frisst all meine Gram und Pein«, sagte Ruth Kleinschmidt. »Es soll tatsächlich Läden geben, in denen man schicke Kleider kaufen kann. Auch den Friseur kann man wechseln. Und Puder und Schminke sollte man eben nicht nur einmal im Jahr,
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