Die Albertis: Roman (German Edition)
einfach sitzenließ, würde ihr in Zukunft sowieso herzlich egal sein.
»Die Frau des Malers schenkt dir Gardinen?«, sagte Lilli verächtlich. Sie trug, da man auf der kleinen Terrasse saß, ein leichtes Sommerkleid, führte die Tasse anmutig zum Mund, die Beine übereinandergeschlagen und das Gesicht dezent geschminkt. Kurzum, sie befand sich ganz in Erwartung eines sonntäglichen Flirts mit Nachbar Petersen, der in seinem Garten Unkraut jätete und anbetend zu ihr herüberschmachtete.
»Warum sollte mir die Frau des Malers keine Gardinen schenken? Die beiden sind sehr viel wohlhabender als ich. Ihnen gehört das größte Haus hier im Umkreis.«
»Verrückte Welt …«, murmelte Lilli, deren ausgeprägter Standesdünkel in keinerlei Verhältnis zu ihrer Herkunft und ihrem Einkommen stand und die im tiefsten Innern ihres Herzens die Menschen immer noch einteilte nach Ober- und Unterschicht, Herrschaft und Gesinde, Elite und normal Sterbliche. Handwerker hatten brave, ehrliche Menschen zu sein, die in sauberen, einfachen kleinen Wohnungen hausten und die offensichtlich gottgewollte Ordnung, gehütet von klugen Politikern, geduldig akzeptierten. Sie hatten unter keinen Umständen Gardinen zu verschenken an Leute, deren Wände sie bepinselten.
»Ein Wort, und ich hätte dir das Geld vorgestreckt.«
»Ich will nicht auf Pump leben. Ich muss lernen, mit dem, was mir zur Verfügung steht, auszukommen.«
»Aber Gardinen vom Maler …«
»Mutter! Nun sei nicht so verdammt hochnäsig. Auch dein Mann war Handwerker.«
»Er hatte eine kleine Fabrik.«
»Er war Schreiner. Ein wunderbarer Beruf, wenn du mich fragst.«
»Er war kein Schreiner. Er war Unternehmer.«
»Er hat in seiner Eigenschaft als Schreiner ein kleines Unternehmen aufgebaut. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass er Handwerker war. Und er war stolz darauf.«
»Er hatte über fünfzig Angestellte, und er war kein x-beliebiger Schreiner, sondern Kunstschreiner und …«
»Auf jeden Fall ein sehr einfacher und gütiger Mensch. Und hatte Herzensbildung.«
»Die ich nicht habe?«
Judith blickte ihre Mutter an. »Nicht in dem Maß, wie Vater sie besaß«, antwortete sie kühl. Wenn sie nun schon vorhatte, ein neues Leben anzufangen, wollte sie auch gleich ihre Schüchternheit ablegen und endlich damit beginnen, sich nicht mehr alles gefallen zu lassen.
Da Lilli nicht antwortete, lächelte Judith nach einer Weile etwas gezwungen und sagte: »Nun passt mal auf … Ihr werdet staunen, was ich aus dem kleinen Hexenhaus alles zaubern werde. Hier unten, das Wohnzimmer, bleibt wie es ist. Die Küche erhält einen größeren Tisch, an dem vier Leute …« Sie räusperte sich. »Ich meine, an dem vier oder auch fünf Leute bequem Platz finden. In mein Schlafzimmer zieht Claudia. Meine Möbel wandern ins Gästezimmer; das kleine Zimmer daneben kriegt Steffi. Und Oliver kommt ins Souterrain. Ist doch herrlich für einen Jungen, so ein Souterrain.«
»Du meinst, er zieht in den Keller«, sagte Lilli, immer noch beleidigt. »Und wohin kommt der Kellerkrempel?«
»Auf den Speicher.«
»Und der Speicherkrempel?«
»Auf den Müll oder Flohmarkt. Mein Gott, das ist doch alles kein Problem!«
»Dein französisches Bett und der große Schrank dürften kaum in dem kleinen Gästezimmer Platz haben.« Huberts Leidensmiene verschlimmerte sich zusehends.
»Das Bett hat Platz. Und den großen Schrank brauche ich nicht, bei nur vier Blusen und fünf Faltenröcken, wie Mutter immer so treffend bemerkt.«
»Ach. Dann spannst du quer durch das kleine Zimmerchen eine Wäscheleine und hängst dort deine Kleiderbügel auf? Wie putzig!«
»Herr Möllemann baut mir einen schmalen Schrank. Und den großen habe ich bereits verkauft. An die Schwiegermutter der Möllemanns.«
»Wie schön, dass bereits die ganze Gegend so rührenden Anteil nimmt an deiner Mutterschaft«, bemerkte Hubert giftig. Er trank einen Schluck Tee und sah mit seinen halbgeöffneten Augen fast so böse aus wie Cäsar, der Papagei.
Lilli schüttelte den Kopf. »Du bist verrückt, Judith. Andere Frauen in deinem Alter kultivieren und vergrößern sich, mieten schicke Altbauwohnungen in Schwabing oder Haidhausen, kaufen sich Antiquitäten, Teppiche und machen Weltreisen. Du aber …«
»Ich vergrößere mich doch auch. Ich bekomme drei Kinder. Was willst du mehr?«
»Und wie hast du dir unser zeitweiliges Zusammenleben vorgestellt?«, fragte Hubert.
»Könnten wir darüber vielleicht später
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