Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)
flüsterte er, während er auf der Stelle wippte. »Du wirst es schon überstehen.«
Dann sah er an sich hinunter, das regennasse Hemd klebte an seinem Körper. Rasch strich er es glatt und ging mit einem knappen Gruß an Dürrbaum vorbei, langsam die Treppe hinauf in den ersten Stock, wo sich die Ausbildungsräume für angehende Ärzte und Hebammen und die Betten der Gebärenden befanden.
Die Luft im Saal war stickig und warm. An der Längsseite standen sechs Betten, alle unbenutzt mit blanker Matratze, bis auf eines.
Professor Loder hielt, umringt von einer kleinen Gruppe Medizinstudenten und zwei Hebammenschülerinnen, ein zart gebautes blondes Mädchen an den Schultern, das erbärmlich schluchzte und wild mit den Armen um sich schlug.
»Nein, gehen Sie weg, starren Sie mich nicht so an!«
»Sie redet im Fieber«, rief ein Kommilitone und trat einen Schritt zurück. »Wir sollten sie zur Ader lassen!«
»Zur Ader lassen?« Professor Loder schüttelte entrüstet den Kopf. »Wie viel Blut soll sie noch verlieren?«
»So viel, wie es Not tut, die Hure zum Schweigen zu bringen«, zischte der Student und lächelte blasiert, als Loder ihn streng ansah.
»Raus mit Ihnen, auf der Stelle!«
Der Student presste finster die Lippen aufeinander, statt zu gehen, rückte er einen Schritt vom Bett ab.
Als das Mädchen begann, die Umstehenden anzuspucken, brach Unruhe aus. Hufeland bemerkte einen Studenten, der sich an die Wand neben der Tür presste, den knabenhaften Ludwig Gerstel. Schweißperlen standen auf seiner bleichen Stirn.
»Ihnen behagt der Anblick Gebärender wohl auch nicht?«, flüsterte Hufeland und nickte dem Kommilitonen aufmunternd zu.
Dieser erschrak. Mit weit aufgerissenen Augen sah er ihn an, dann stürzte er an ihm vorbei, die Treppe hinab ins Freie.
Das Mädchen begann wieder zu schreien, es bäumte sich auf und |21| sah mit ängstlichem Blick in Richtung Tür, erblickte Hufeland und verstummte. Hufeland trat näher an es heran. Zu seiner Überraschung sah er, dass das Mädchen beinahe noch ein Kind war. Das offene Haar klebte am Gesicht, es fiel in regelmäßigen Wirbeln, als wäre es zuvor zu Zöpfen geflochten gewesen.
Eine neue Welle des Schmerzes ließ sie aufstöhnen. Sie keuchte, eine der Hebammenschülerinnen tupfte ihr mit unbeholfenen Bewegungen den Schweiß von der Stirn. Tiefe Röte überzog das Gesicht des Mädchens, breitete sich aus bis zum Hals, bis sich ihre Züge wieder entspannten und ihr Atem ruhiger wurde.
»Ich kenne sie«, stammelte Hufeland plötzlich.
»Bitte«, flehte das Mädchen und sah ihn mit weit aufgerissenen Augen an, »bitte verraten Sie mich nicht!« Tränen liefen über die rotfleckigen Wangen. »Ich habe nichts Unrechtes getan.«
Erschöpft sank sie nach hinten. Das Laken verrutschte und offenbarte eine Blutlache, die die herbeigeholten Tücher nicht hatten halten können. Woher kam all das Blut? War das Kind bereits entbunden? Er hatte nicht einmal ihre Schwangerschaft bemerkt.
Professor Loder hatte die Szene aufmerksam verfolgt. Nun blickte er Hufeland streng an. »Kommen Sie«, sagte er.
Das Zimmer, in das der Professor ihn führte, lag abseits der Ausbildungsräume. Es war karg eingerichtet, nur ein Tisch und ein Stuhl standen darin. Der Regen hatte inzwischen aufgehört, nun schien die Sonne und trug eine dampfende Schwüle durch das geöffnete Fenster.
Professor Loder setzte sich auf die Kante des Tisches, wartete, bis er auf dem knarrenden Stuhl Platz genommen hatte, sah ihn dann auffordernd an. Ob er erzählen mochte, was er von dem Mädchen wisse.
Hufeland senkte den Kopf, wurde sich der Anstößigkeit seines wieder eng am Körper klebenden Hemdes bewusst, zog es mit zitternden Händen nach vorn und blickte dem Professor fest in die Augen. »Ich kenne sie nicht gut. Zumindest nicht auf diese … Weise.« Er errötete heftig.
Professor Loder nickte, seine Stirn lag in Falten.
|22| »Das Mädchen heißt Minchen«, fuhr Hufeland fort. »Es ist die jüngste Tochter der Familie Trautmann, die einige Studenten beherbergt.«
Und auch den Kommilitonen Johann Vogt, fügte er im Stillen hinzu. Ein leiser Verdacht keimte in ihm auf. Doch er schwieg, würde ihn nicht äußern, bevor er sich dessen sicher war.
»Ich möchte, dass Sie mir genau zuhören«, sagte Loder in die Stille hinein. »Mir ist nicht verborgen geblieben, dass Sie sich in jenes Jenaer Studentenleben stürzen, bei dem man sich nicht nur mit den Büchern vergnügt, und zu einem
Weitere Kostenlose Bücher