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Die Alchemie der Naehe

Die Alchemie der Naehe

Titel: Die Alchemie der Naehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaia Coltorti
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du instinktiv eifersüchtig, als du das erste Mal sahst, wie sie mit einem jungen Mann tanzte und plauderte. Irgendwann küsste er sie sogar auf die Wange, und du bekamst dermaßen besitzergreifende Anwandlungen, dass du gezwungen warst aufzuspringen. Natürlich setztest du dich gleich wieder hin. »Komm schon, immer mit der Ruhe«, beruhigtest du dich mit einer gehörigen Portion Selbstironie, die so gar nicht typisch für dich war.
    Doch in Wahrheit trieb dich Selvaggia in den Wahnsinn.
    Dabei war es völlig lächerlich , dass sie dich eifersüchtig machte: Sie war weder deine Freundin noch ein Mädchen, auf das du schon länger ein Auge geworfen hattest. Und schon gar nicht die Frau, die du liebtest – sie bedeutete dir rein gar nichts . Sie war einfach nur deine Schwester. Oder war es vielleicht ausgerechnet diese sprachliche Nuance – dieses »deine« –, die dich zwang, in diese trostlose, kaputte, traurige Welt der krank haften Eifersucht einzutauchen? In diesem Moment hast du alles in einem zweiten doppelten Jameson ertränkt.
    Daraufhin winkte sie dich näher, was sie zweimal wiederholte. Du hattest nicht die geringste Lust, ihrer Aufforderung Folge zu leisten, sondern gingst nur auf die Tanzfläche, um weitere Scherereien zu vermeiden. Und so tanztest du mit ihr, aber ohne dich richtig gehen zu lassen, fast schon ein wenig lustlos.
    Doch auf einmal packte dich Selvaggia an den Händen und zog dich an sich, ja zwang dich förmlich, an ihr zu kleben . Angesichts dieser ungewohnten Nähe standst du kurz davor, den Kopf zu verlieren: So fühlte es sich zumindest an. Auf jeden Fall ertapptest du dich nicht zuletzt wegen der bekloppten Musik und der Nachwirkungen des doppelten Jameson bei dem Gedanken, dass du sie am liebsten mit ins Auto nehmen und dort sonst was mit ihr veranstalten würdest … Doch leider war sie deine Zwillingsschwester.
    Daraufhin schämtest du dich, stürmtest erhitzt von der Tanzfläche und wurdest von schrecklichen Schuldgefühlen ge plagt. Gleichzeitig hättest du dir am liebsten den Kopf abgerissen, das Gehirn in die Hände genommen und versucht zu verstehen, welches lockere Schräubchen diesen Kurzschluss verursacht hatte.
    Kurz nach vier wart ihr wieder zu Hause, denn letztlich hattest du wie der gutmütige Meister Geppetto auf ganzer Linie nachgegeben – sogar beim Aufbruchtermin! Hinzu kam, dass diese Verrückte völlig betrunken war, als ihr endlich im Auto saßt. Und du hattest Kopfschmerzen wie ein Moschusochse, die dich alles doppelt sehen ließen. Du fuhrst die ganzen fünfundzwanzig Kilometer sechzig und rauchtest vor lauter Anspannung eine Camel light nach der anderen. Nebenbei bemerkt warst du einer von den Blindfischen, die nur rauchen, wenn sie nervös sind, und deine jetzige Situation war eindeutig eine Stresssituation.
    Nach fünfzehn Kilometern hieltet ihr an einer Tankstelle, weil sie sich übergeben musste, wobei du ihr zur Seite standst, so gut es ging. Als ihr anschließend wieder im Auto saßt und du erneut am Steuer Platz genommen hattest, hinderte sie dich daran, den Motor anzulassen und sagte: »Mir ist kalt«, wobei sie sich tief in den Sitz presste. Sie zitterte wie Espenlaub. Daraufhin suchtest du nach etwas, das sie wärmen konnte, aber da war nichts. »Ich mach die Heizung an«, sagtest du rasch. Auch das war einfach nur absurd: die Heizung und das Mitte Juni!
    Â»Nein, mir ist jetzt kalt«, sagte sie. » In diesem Moment .«
    Â»Komm her, Dummerchen«, hast du darauf erwidert und die Arme ausgebreitet.
    Selvaggia warf sich förmlich hinein: Zum ersten und einzigen Mal an diesem Tag empfandst du tatsächlich geschwisterliche Gefühle für sie. Während du sie so umarmtest, war dir, als würdest du sie beschützen, und in dieser Ausnahmesituation fühltest du dich ihr näher als in all den Stunden davor. Du wärmtest sie, indem du ihr den Rücken riebst, und sie protestierte nicht, hielt sich starr an deinen Hüften fest – kaum mehr als ein Fliegengewicht. Sie atmete an deinem Hals, und nach einer Weile merktest du, dass sich ein leiser, kehliger Laut dazugesellt hatte, ein friedliches Geräusch: Sie war eingeschlafen.
    Da hast du sie auf den Sitz gebettet und ausgiebig betrachtet – jetzt, wo sie deinen Blick ausnahmsweise nicht erwidern konnte.

8
    Du wurdest von der Sonne geweckt.

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