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Die Alchemie der Naehe

Die Alchemie der Naehe

Titel: Die Alchemie der Naehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaia Coltorti
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zusammen. »Pass auf, dass du nicht über die Kartons stolperst!«
    Unschlüssig bliebst du in der Tür stehen. Rechts von dir ging ein großes Zimmer mit hoher Decke ab. Es sah aus wie frisch gestrichen. Ein riesiges Fenster ließ eine Lichtkaskade herein und verlieh dem Raum ein nüchternes, dabei zugleich strahlendes Aussehen. Nur schade, dass ein anderes Gebäude die Aussicht verstellte. Aber daran würdest du dich auch noch gewöhnen und es irgendwann gar nicht mehr bemerken. Vorausgesetzt, eure Eltern blieben so lange zusammen, dass du oft genug Gelegenheit haben würdest, in diese Wohnung zurückzukehren.
    Â»Gehen wir?« Selvaggia drehte sich zu dir um. Sie hielt eine kleine Tasche aus rosa Lackleder in der Hand, die ihr eine unbekümmerte Note verlieh. Du nicktest. Ihr verließt die Wohnung, wobei sie versprach, dir überallhin zu folgen. Da sie viel Wert auf ihr Äußeres legte, beschlosst du, mit ihr shoppen zu gehen. Das würde ihr bestimmt gefallen.
    In Veronas Hauptstraßen reihte sich ein Geschäft ans andere, und du kanntest ein paar angesagte Boutiquen. Geizig wolltest du nicht sein, hofftest jedoch insgeheim, dass sie diesmal einen vollen Geldbeutel dabeihatte.
    Wortlos machtet ihr euch auf den Weg, genau wie am ersten Abend. Im Vertrauen darauf, dass einer von euch schon irgendwann das Eis brechen würde, wart ihr beide offen fürein ander. Selvaggia wirkte ruhiger als beim letzten Mal, fast schon sanft.
    Du nahmst sie in Läden mit, die du kanntest – erst zu den Klamotten, dann zu Schuhen und Accessoires. Irgendwann betratet ihr ein Sportgeschäft: Sie brauchte ein paar Turnschuhe und du T-Shirts. Sie fand nichts nach ihrem Geschmack, doch du entdecktest etwas Passendes, probiertest es an, verließt die Umkleide und fragtest sie nach ihrer Meinung. Selvaggia musterte dich fast schon ein wenig verblüfft und ging dann einmal um dich herum, um die eine oder andere Falte glatt zu streichen. Ihre Hände auf deinem Körper erregten dich in einer noch nie zuvor wahrgenommenen Deutlichkeit. Sie ignorierte deinen Ständer und sagte nach dem Zurechtzupfen deines T-Shirts nur, dass es passe. Und wenn sie das sagte, musste es stimmen!
    Gegen sieben gingt ihr in Richtung Via Anfiteatro: der mit Schachteln und Tüten schwer bepackte Sherpa Giovanni und Selvaggia, die irgendwas von toten Liedermachern und alten Grungesongs daherlaberte und auf keinen Fall mehr als ihre Handtasche tragen konnte.
    Sie begann, sich dir zu öffnen, obwohl ihr euch erst so kurz kanntet. Aber eigentlich war es eher ein Wiede r erkennen, denn kennen tatet ihr euch schon seit eurer Geburt.
    Auf dem Heimweg kauftet ihr hausgemachtes Eis und aßt es an einem der Tischchen im Freien. Du konzentriertest dich mehr auf Selvaggia als auf dein Haselnusseis mit Schlagsahne, sodass du dir zu guter Letzt noch die Hose vollkleckertest – ein wirklich außergewöhnlicher Vorfall, der bei Selvaggia große Heiterkeit auslöste. Nachdem du verzweifelt versucht hattest, den Fleck mit Mineralwasser zu entfernen, saht ihr euch in die Augen.
    Â»Ich sehe dich eigentlich gar nicht als meinen Bruder, Johnny«, gestand sie dir lächelnd und wandte sofort den Blick ab.
    Die Arena von Verona lag gleich nebenan, und Selvaggia fixierte sie endlos lange, als wollte sie ihre Verlegenheit verbergen.
    Sie hatte es sich angewöhnt, dich »Johnny« zu nennen, und das gefiel dir.
    Am liebsten hättest du darauf erwidert, dass ihr nun mal leider Geschwister wärt, was auch dir kein bisschen gefalle, ließt es aber bleiben.
    Denn das ging gar nicht.
    Stattdessen schenktest du ihr ein dümmliches Lächeln, kaum dass sie dich wieder eines Blickes würdigte.

10
    Eure letzte gemeinsame Unternehmung war genau zwei Wochen her. Für dich waren das zwei qualvolle Wochen gewesen, in denen du wie ein Wahnsinniger im Schwimmbad trainiertest, nur um nicht an sie denken zu müssen. Auch wenn du es nicht zugeben wolltest: Selvaggia hatte dein Herz erobert und deine Seele gefangen genommen wie ein Parasit, der sich um die Pflanze schlingt, von der er sich ernährt – schluck!
    Du machtest dir weis, dass sie erst abends von zahlreichen Besorgungen mit eurer Mutter zurückkam. Dass beide mit der neuen Wohnung, dem neuen Leben und anderen drängenden Problemen, die deinen Horizont überstiegen, schwer beschäf tigt waren. Du hast dich ausschließlich

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