Die Alchemie der Naehe
rührende Lächeln lieà ihre Züge weicher erscheinen, und sie nickte langsam.
Das war es also! Eure Zukunft würde mit dem Geständnis beginnen, dass ihr ein Paar wart. Dass ihr euch liebtet und dass euch niemand auseinanderbringen konnte, so abstoÃend ihr auch wirken mochtet.
»Hast du Angst?«, fragte sie und lud dich ein, auf ihrem Bett Platz zu nehmen. Hattest du Angst, mein lieber Giovanni? Todesangst! Am liebsten hättest du ihr gesagt, dass das der reinste Selbstmord war, ja dass es normal war, Angst zu haben, wahnsinnige Angst! Aber das würdest du ihr natürlich niemals verraten. Deshalb griffst du zu so einem absurden Satz wie »Klar doch! Aber irgendwann muss man erwachsen werden«, der alles und nichts bedeutete.
In Wahrheit warst du noch lange nicht so weit, schlieÃlich war es nicht auÃergewöhnlich, dass ein Schüler eingeschüchtert war angesichts einer Zukunft, die so weder Mutter noch Vater so vorhergesehen, geschweige denn gewollt hatten.
Logisch, dass dich das fertigmachte und du über die möglichen Folgen nachdachtest: über einen Job, über euren Lebensunterhalt und über eine eigene Wohnung, da ihr irgendwann ausziehen und für euch selbst sorgen würdet. Aber mit der Angst keimte erstaunlicherweise auch Hoffnung auf. Solange du wusstest, dass Selvaggia bei dir war und du ihr zuliebe jeden nur erdenklichen Mist machen würdest, um ihr das Leben so angenehm wie möglich zu gestalten, warst du nicht so schnell zu entmutigen. Der Gedanke, dass sie dein Ansporn war, nahm dir nichts weg, sondern bereicherte dich vielmehr, machte alles nur halb so anstrengend und doppelt so erträglich. Der aus Liebe gespeiste Mut würde euch helfen, sämtliche Schwierigkeiten zu überwinden: euer Mut, eure Liebe und nicht zuletzt auch eine gehörige Portion Verrücktheit und Aben teuerlust.
»Und du? Hast du Angst?«, fragtest du.
Selvaggia lachte laut auf, gestand dir aber gleich darauf ihre wahren Gefühle. »Und ob ich Angst habe«, sagte sie. Du warst so verblüfft, dass sie befreit loslachte, woraufhin du ebenfalls grinsen musstest. Ein Grinsen, das langsam einem unterdrückten Lachen wich, welches in ihres mit einstimmte und einen seltsamen Heiterkeitsausbruch auslöste.
Zugegeben, verdammt! Ihr hattet Angst. Na und?
72
Während du vor dem Spiegel ein letztes Mal zwanghaft den Hemdkragen unter dem eleganten Jackett zurechtzupftest, kamst du zu dem ebenso stillschweigenden wie irrwitzigen Schluss, dass euer Coming-out als Paar längst nicht so dramatisch war wie gedacht. Inzwischen gingst du einfach davon aus, dass zwar einige Anstoà daran nehmen würden, ihr aber mit eurer Beziehung niemandem wehtatet. AuÃerdem: Was gingen dich die anderen an, solange du Selvaggia hattest? Ein Lächeln tauchte im Spiegel auf, was dich selbstsicherer machte als je zuvor.
In der festen Ãberzeugung, das Richtige zu tun, verlieÃt du dein Zimmer und klopftest mit wachsender Begeisterung an ihre Tür. Während du dich zurechtmachtest, hattest du vor allem an sie gedacht, an das Rascheln ihres Kleides beim Anziehen, an den Schmuck, den sie anlegen würde, und die Schuhe mit den hohen Absätzen, die mit jedem Schritt einen vermeintlichen Dialog mit dem FuÃboden führen und ein mehr oder weniger witziges, unerschrockenes Kastagnettenkonzert geben würden. All das ging dir durch den Kopf, und trotzdem gelang es dir nicht, den Gedanken an ihre wunderschönen glatten Beine, ihre harmonischen Bewegungen und ihre zierliche, aber zähe Erscheinung zu verdrängen.
Du warst ganz verliebt in ihre Statur, weil sie so schmal wirkte neben deiner stattlichen Schwimmerfigur. Gleichzeitig ging eine erstaunliche Kraft von ihr aus: So als könnte und wollte Selvaggia mit ihrer Schönheit höhere Mächte herausfordern. Sie war im wahrsten Sinne des Wortes eine kleine Göttin, eine ultramoderne Venus: ebenso kapriziös wie entwaffnend.
Dein inneres Zwiegespräch wurde ausgerechnet von der Geliebten unterbrochen, auf die du gerade ein Loblied sangst. Als du sie vor dir sahst, musstest du gar nicht erst versuchen, deinem Wunsch, sie zu küssen, zu widerstehen. Selvaggia war so wunderschön wie an dem Abend in Genua. Ja sogar noch schöner! Das offene Haar fiel ihr weich über die Schultern und umrahmte ein Gesicht, dem die Natur die gröÃtmögliche Anmut geschenkt hatte. Ihre grünen
Weitere Kostenlose Bücher