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Die Alchemie der Naehe

Die Alchemie der Naehe

Titel: Die Alchemie der Naehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaia Coltorti
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Augen – teils um diese ungeheuerliche Information zu verarbeiten, teils um zu ergründen, ob ihr euch nicht lustig über sie machtet!
    Doch nachdem ihnen eure Ähnlichkeit aufgefallen war, starr ten sie ins Leere, ins Nichts. Auch wenn das wahre Ausmaß der Enthüllung noch nicht bis zu ihnen durchgedrungen war, waren sie ihr schon sehr nahe gekommen. Kaum verhohlener Ekel verzerrte ihre Gesichter, vor allem das von Martina, die sich noch gut an eure leidenschaftlichen Küsse im Klassenzimmer erinnern konnte. Nachdem eure Liebkosungen wieder vor ihrem inneren Augen aufgetaucht waren, musste der Gedanke an eure Intimitäten der absolute Horror für sie sein – eine Vorstellung, die sie dermaßen verstörte, dass sie mit diesem gezwungenen, verunglückten Lächeln zu verdrängen versuchte, was sie abstieß. Zwischen euch vieren herrschte eine lähmende Stille, die durchbrochen werden musste. Da kam es euch sehr gelegen, dass die Zeit bereits zu deinen und Selvaggias Gunsten arbeitete: Du hörtest die aufgeregten Stimmen der Gäste, die rückwärtszählten, und da konntet ihr vier natürlich nicht zurückstehen. Deshalb schlug Selvaggia rasch vor, zu den anderen zu gehen, und ihr folgtet ihr in den Saal – du an ihrer Hand und die beiden anderen, die sich bestimmt entsetzt ansahen, gleich im Anschluss. Gemeinsam bliebt ihr auf der Treppe stehen und zähltet rückwärts.
    Â»Sieben! … Sechs! … Fünf …!«
    Damit begann also euer neues Leben in der Öffentlichkeit – ein Leben voller Harmonie und aufrichtiger, grenzenloser Liebe.
    Â»Vier! … Drei! … Zwei …!«
    Ihr wusstet, dass es nicht einfach werden würde. Natürlich würdet ihr noch oft Spießruten laufen müssen, bevor die Diskriminierung, die Vorurteile, die Ausgrenzung überwunden sein würden.
    Â»Eins …!
    Aber ihr wart zusammen , und zusammen wart ihr stark. Außerdem wart ihr zu allem bereit, um euer neues Glück zu verteidigen.
    Und das begann jetzt, verdammt noch mal!

73
    Es fing an mit einer Umarmung inmitten der jubelnden, ausgelassenen Gäste, weil das Fest jetzt erst so richtig losging. Und während du Selvaggia an dich zogst, spürte sie ganz genau, dass Martina und ihr Freund, die ein paar Stufen höher standen, euch erschüttert beobachteten, was Selvaggia nur belustigte: »Schau sie dir bloß an! Schau nur, wie entsetzt sie uns anstarren – da wird einem ja angst und bange!« Sie nickte ihnen zu, woraufhin Martina und ihr Freund das übliche Lächeln aufsetzten.
    Â»Los, erschrecken wir sie zu Tode, küss mich!«, stachelte sie dich an, bevor sie selbst die Initiative ergriff und dich noch leidenschaftlicher küsste als sonst.
    Und dann geschah, was geschehen musste: Ohne dass eine Sondersendung nötig gewesen wäre, sprach sich die Nachricht innerhalb der nächsten Stunde herum. Schon bald hörtet ihr dieses leise Raunen, das laut wird, wenn ein Gerücht kursiert.
    Wie eine Stafette machte die Nachricht unter den Paaren die Runde, sodass ihr kurz nach eins beim Tanzen zu Schmusesongs immer wieder finstere, beunruhigte oder eindeutig angewiderte Blicke erntetet.
    Und diejenigen, die euch nicht verächtlich musterten, empfanden dieselbe wachsende Neugier, dieselbe Faszination für das Makabre, die Menschen dazu bringet, sich um einen Unfallort zu scharen, nach den grausigsten Details Ausschau zu halten und dann haarsträubende Grimassen zu ziehen.
    Natürlich hattest du nicht erwartet, dass man euch feierte oder eure Beziehung guthieß. Aber mit einem so einmütigen Entsetzen hattest du nicht gerechnet. Und obwohl du vorgabst, nichts von alledem zu bemerken, ihm keine Bedeutung beizumessen, lasteten diese bösen Blicke schwer auf dir.
    Auf einmal bekamst du große Lust, die Leute zu verurteilen, die euch verurteilten – und zwar mit demselben Abscheu, der euch entgegenschlug. Sie hatten kein Recht, über euch zu richten!
    Wenn sie dich verdammten, solltest du sie erst recht verdammen dürfen, weil sie das, was wirklich hinter eurer Liebe steckte, nicht verstanden. Keiner der Anwesenden begriff auch nur ansatzweise, auf welch hehren Gefühlen eure Liebe beruhte: Anders als sich das gewisse Leute so dachten, wart ihr mitnichten zwei Monster, die nur geboren worden waren, um die Verderbtheit des Menschen zu zeigen.

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