Die Alchemie der Naehe
unter dem Fantasienamen Johnny, und wer Johnny war, war nicht schwer zu erraten, denn eure leidenschaftlichen Küsse waren ihr nicht verborgen geblieben. Was sie dagegen noch nicht wusste, war, dass du Selvaggias Bruder warst.
Sah sie euch jetzt zusammen auf dem Ball, so würde Martina die Anspielung verstehen oder zumindest anfangen, eure Beziehung ernsthaft zu hinterfragen. Sie würde mit ihrem Macker darüber reden, mit ihren Freundinnen, und ihr Macker würde es einem Freund weitererzählen. Der wiederum einem anderen Freund, der den Lehrern gegenüber Andeutungen machen, ja, es vielleicht sogar laut aussprechen würde, welche dann â »natürlich nur zu eurem Besten« â eure Eltern informieren würden.
Und das wäre wirklich der absolute Super-GAU.
Plötzlich machte sich so etwas wie Nervosität in dir breit, wenn auch in abgeschwächter Form, als hättest du fast schon resigniert. Warum war Selvaggia bloà so leichtsinnig, fragtest du dich immer wieder. Du kanntest sie gut genug, um zu wissen, dass ihr die Wahrheit nicht herausgerutscht wäre, wenn sie es nicht selbst so gewollt hätte. Du wusstest, dass es ihr nicht nur darum ging, Aufmerksamkeit zu erregen. Sie hatte einen Plan, den du schnellstmöglich durchschauen musstest, denn diesmal schwante dir nichts Gutes.
»Du hast was gesagt?«, bemerktest du und sahst sie schief an, um sicherzugehen, dass du dich nicht verhört hattest.
»Bist du taub? Ich habe gesagt, dass ich mit meinem Bruder zum Ball gehe.«
»Na, ganz toll! Und warum bitte schön?«
»Weil wir uns nicht ewig verstecken können.«
»Aber doch wenigstens so lange, bis wir hier ausziehen können!« Du hattest Mühe, nicht laut zu werden, schlieÃlich waren eure Eltern in der Nähe.
»Falls es das ist, was dich beunruhigt: Unsere Alten werden nichts davon erfahren.«
»Da wäre ich mir nicht so sicher.«
»O doch: Wer direkt betroffen ist, merkt fast nie, was um ihn herum vorgeht. Der gehörnte Ehemann ist in der Regel der Letzte, der es erfährt.«
»Klar. Logisch! «, höhntest du, als hättest du es mit einer Geisteskranken zu tun. »Doch was, wenn das eine von diesen Ausnahmen ist, in denen der Ehemann sehr wohl etwas spitz kriegt?«
Sie verdrehte nur seufzend die Augen, als flehte sie eine höhere Macht um Beistand an. »Das ist keine von diesen Ausnahmen.«
»Dann erklär mir wenigstens, warum du dich nicht vorher mit mir abgesprochen hast! Martina kennt uns! Die weiÃ, dass wir zusammen sind, und wenn du ihr jetzt gesagt hast, dass du mit deinem Bruder zum Ball gehst, und sie mich sieht, haben wir ein Riesenproblem!«
Selvaggia schien das kaum zu bekümmern: »Ich habe dir den Grund dafür bereits genannt.«
»Das ist doch vollkommen überstürzt! AuÃerdem hätten wir das gemeinsam entscheiden müssen!«
»Je drastischer eine Entscheidung ausfällt, desto besser. Das ist so wie bei einem Kind mit einem lockeren Milchzahn: ReiÃt man ihn nicht brutal raus, wächst der Neue schief nach.«
Du musstest laut lachen über diese Binsenweisheiten aus dem Hut eines havarierenden Zauberers, mit denen sie deiner Frage ausweichen wollte.
»Was für ein Riesenblödsinn!«, warfst du ihr mit nervösem Kichern vor. »Ist dir eigentlich klar, was du da angerichtet hast?« Vielleicht musstest du ja nur an Selvaggias schlechtes Gewissen appellieren, und sie würde sich geschlagen geben, ja dir erlauben, gemeinsam mit ihr nach einer anderen Lösung zu suchen als die, die sie in Umlauf gebracht hatte.
Doch leider Gottes begingst du den Riesenfehler, sie mit jemand anderem zu verwechseln. Genauer gesagt mit dir, wenn du ernsthaft glaubtest, sie könnte dich ansehen wie ein geprügelter Hund und noch einen Rückzieher machen.
»Und ob mir das klar ist«, erwiderte sie. »Wir machen jetzt Folgendes, mein Schatz: Du denkst drüber nach und sagst mir dann Bescheid.« Mit diesen Worten erhob sie sich, William, das Kätzchen, auf dem Arm, gab dir einen Kuss auf die Wange und ging in die Küche.
»Ich soll dir Bescheid sagen ?«, hättest du ihr am liebsten hinterhergeschrien. »Was für einen Bescheid erwartest du denn bitte ? « Erschöpft lieÃt du dich ins Sofa sinken, und deine Nerven lagen blank. Warum passierten die schlimmsten Katastrophen immer dann, wenn man so gar
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