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Die Alchemie der Naehe

Die Alchemie der Naehe

Titel: Die Alchemie der Naehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaia Coltorti
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nicht damit rechnete? »Wie meinst du das?«, sagtest du laut, als sie bereits in der Tür stand.
    Â»Na, wie wohl!«, erwiderte sie achselzuckend. »Vermutlich meine ich damit, dass du mir sagst, was du davon hältst. Und dann wird gemacht, was ich will.« Sie war vollkommen gelassen, ironisch sogar, und lachte dich ebenso grund- wie maßlos aus in diesem Türvakuum, das auf einmal auf einen furchtbaren Abgrund zuführte. Das war das erste Mal, seit ihr euch kanntet, dass du sie am liebsten erwürgt und für immer zum Schweigen gebracht hättest.

71
    Da dein Lieblingsort zum Nachdenken, das Schwimmbad, nun mal leider über die Feiertage geschlossen war, zogst du dich in dein Zimmer zurück, um mit einer Camel light im Mundwinkel aus dem offenen Fenster zu starren und nachzudenken.
    Du verstandst einfach nicht, warum Selvaggia diese Entscheidung gefällt hatte, und auch nicht, warum du dir jedes Mal, wenn sie sich etwas in den Kopf setzte, wie ein Idiot das Hirn zermartern musstest, bevor du zu Schlussfolgerungen gelangtest, die dir so gut wie nie gefielen.
    Dass sie dich nicht vorher gefragt hatte, war nicht weiter verwunderlich, denn du hättest niemals eingewilligt. Es war der Grund für ihre Entscheidung, der dir Rätsel aufgab. Was hatte sie gleich wieder gesagt? Dass ihr euch nicht ewig verstecken konntet, und das stimmte auch. Aber solange ihr noch zu Hause wohntet, blieb euch nun mal nichts anderes übrig. Würdet ihr woanders leben – kein Problem! Dann wäre das völlig egal. Da es allerdings nun mal nicht infrage kam, eure Eltern einzuweihen, wäre es besser gewesen, den Mund zu halten. Doch bestimmt verfolgte sie irgendeinen raffinierten Plan, der vorsah, die wahre Natur eurer Beziehung öffentlich zu machen – ohne jede Rücksicht darauf, dass der radioaktive Fallout anschließend alles unter sich begraben würde, vermutlich sogar ohne die katastrophalen Konsequenzen richtig zu durchschauen.
    Du konzentriertest dich auf den Plan, den sie sich zurechtgelegt haben musste. Vielleicht wollte Selvaggia nur provozieren, ohne richtig Klartext zu reden: Etwas andeuten, ohne zu sagen, was wirklich los war. Eine Show abziehen, die die anderen im Ungewissen ließ – genau wie damals, als sie dich als Johnny vorgestellt hatte: viel Spielraum für Interpretationen, aber keine konkrete Ansage. Nach dieser Provokation wüsste sie dann, ob sie eure tatsächliche Beziehung enthüllen oder sie lieber im Dunkeln lassen sollte – vielleicht sogar für immer. Ein raffinierter Plan, aber etwas anderes war von Selvaggia auch nicht zu erwarten!
    Nachdem du dir eine zweite Camel light angezündet hattest, wandtest du dich mit dem Rücken zum Fenster und ließt den Blick durchs Zimmer schweifen.
    Seit Selvaggia in Verona aufgetaucht war, hatte sie alles durcheinandergewirbelt – angefangen von deinen geheimsten Gedanken bis hin zu deiner Schwimmroutine. Natürlich war auch dein Zimmer nicht davon verschont geblieben: Alle Wände waren mit Fotos von euch tapeziert, auch wenn die Bilder, die eure wahre Beziehung verrieten, sorgsam in einem Album gehütet wurden, das du in deiner verschlossenen Schreibtischschublade aufbewahrtest. Du zogst sie auf, nahmst das Album heraus, setztest dich damit aufs Bett, schlugst es auf und wurdest ganz melancholisch.
    Bei dem Gedanken an den Abend, an dem ihr die Fotos eingeklebt hattet – natürlich nicht, ohne euch über die richtige Reihenfolge zu streiten, die chronologisch bis auf die Minute stimmen, ja möglichst auch noch den jeweiligen Kontext berücksichtigen musste –, konntest du dir ein Grinsen nicht verkneifen. Meine Güte, war das anstrengend gewesen! Aber das Ergebnis – euer erstes Erinnerungsalbum voller sorgfältig verzierter Hochglanzbilder – konnte sich sehen lassen.
    Beim Durchblättern ertapptest du dich irgendwann dabei, das Foto anzustarren, auf dem sie dir auf der Sant’-Angelo-Brücke einen Kuss zuwarf. Und dann das von ihr auf der Bank, auf dem sie einen Schinkenkäsetoast aß und lächelnd in die Ferne zeigte. Es gab auch ein Bild von dir, auf dem du gerade last. Du konntest dich noch vage an den Abend erinnern, an dem sie dich müde und leicht gelangweilt gefragt hatte: »Liest du mir etwas vor?«
    Sie hatte dich fotografiert, als du gerade versuchtest, den Text angemessen vorzutragen –

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