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Die Alchemie der Naehe

Die Alchemie der Naehe

Titel: Die Alchemie der Naehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaia Coltorti
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schließlich hatte dir Selvaggia schon mehrmals vorgeworfen, falsch zu betonen: Armand, der Held aus Die Kameliendame von Alexandre Dumas, gesteht gerade seine furchtbare Eifersucht auf Marguerite, die ihrem hochanständigen Dirnenberuf nachgeht und ihren Lieblingslover deshalb logischerweise nicht exklusiv empfangen kann. Das brachte dich auf die Idee, dass Selvaggia sich vielleicht ein bisschen so fühlte wie diese Romanfigur, wie eine auf Abwege geratene Heldin. Und du? Fühltest du dich eher wie Armand oder wie ein braver Blindfisch? Meine Güte, du konntest dich mit diesem Buch identifizieren – etwas, das vor Selvaggia niemals möglich gewesen wäre! Mit Armand, der sich vornimmt, sie ziehen zu lassen, ja, sie zu verachten , nur um sich ihr beim kleinsten Wink wieder zu Füßen zu werfen und ihr erneut zu verfallen – in Tränen aufgelöst (er natürlich, und nicht die Füße ). War es bei euch nicht ganz genauso? Aber klar doch! Und zwar so sehr, dass ihr bei den ständigen Rollenwechseln gar nicht mehr auseinanderhalten konntet, wer Täter und wer Opfer, wer Sklavenhalter und wer Sklave, vor allem aber, wer von euch beiden der Unterlegenere war. Sie, die sich gezwungen sah, zu fiesen Methoden zu greifen, um sich vor der Welt zu schützen. Oder er, der Blindfisch Armand, der sich jedem ihrer Wünsche beugen musste, um sie besitzen zu dürfen.
    Im Grunde war es absurd, wie sehr ihr euch mit dem Buch und seinen Helden identifiziertet – mit ihr, die so opportunistisch sein konnte, und mit ihm, der so krankhaft eifersüchtig, so verrückt vor Liebe und Schmerz war.
    Das Problem war nur, dass Selvaggia das romantisch zu fin den schien! Und während du weiterhin deinen Gedanken nach hingst, dir ein Foto von euren aneinandergeschmiegten Gesichtern ansahst, wurde dir auf einmal klar, dass das nicht der Grund war, nach dem du suchtest. Sie hatte das nicht getan, um sich wie eine auf Abwege geratene Romanheldin fühlen zu können.
    Während dein Blick über die Bilder schweifte, erkanntest du plötzlich, dass die Fotos, die euch zu Hause vor dem Fernseher, Arm in Arm im Gespräch oder unter einer Decke auf dem Sofa zeigten, gefährlich an eine Familie erinnerten: Ihr saht aus wie ein verliebtes Paar, das kurz davorstand, zusammenzuziehen und Kinder zu bekommen – mit all seinen Träumen und Problemen, die es mithilfe seiner Liebe überwinden will.
    Ihr saht aus wie eine Familie.
    Diese Erkenntnis traf dich völlig unvorbereitet, und auf einmal war dir alles klar. Es war, als lebten zwei Familien in diesem Haus: eure Eltern auf der einen und ihr auf der anderen Seite. Ihr wart zwar keine Familie im eigentlichen Sinn und hattet auch noch keine Zukunftspläne geschmiedet. Aber ihr wusstet, dass ihr euch liebtet und zusammenbleiben wolltet, und mehr musstet ihr gar nicht wissen. Indem du dich auf dein bisschen Intuition verließt, kamst du zu der Überzeugung, dass das für Selvaggia zu wenig war. Zu sagen, dass sie Gewissheit wollte, war vielleicht etwas übertrieben, aber et was Konkretes, ein Ziel, das ihr gemeinsam verwirklichen konn tet, wünschte sie sich schon. Ihr Entschluss folgte einer inneren Logik, die durchaus überzeugend war: Allein dass sie dich als festen Bestandteil ihrer Zukunft betrachtete, ließ dir das Herz aufgehen. Doch du ermahntest dich, auf der Hut zu bleiben, schließlich war das nur eine Vermutung.
    Wenn deine These stimmte, würde die Bekanntmachung eurer Beziehung Veränderungen mit sich bringen, die dir schon bald Entscheidungen und mit Sicherheit Opfer abverlangen würden. So etwas konnte unmöglich ohne schmerzliche Erfahrungen über die Bühne gehen.
    An diesem Punkt brachen deine Gedanken ab. Abrupt klapp test du das Album zu und legtest es zurück. Kurz darauf war zu hören, wie du zu Selvaggia ins Zimmer gingst, wo sie gerade las. Du brauchtest gar nicht erst zu klopfen, da sie die Tür angelehnt gelassen hatte.
    Â»Und?«, fragte sie. »Was sagst du dazu?« Ihre Stimme klang monoton. Völlig in ihre Lektüre vertieft, kaute sie auf einem Bleistift. Du machtest die Tür zu und brachtest nur folgende Frage über die Lippen, die kaum mehr war als ein ängstlicher Hauch: »Willst du, dass unsere Beziehung eine Zukunft hat?«
    Sie sah dich nur wortlos an, und ein Lächeln umspielte ihre Lippen. Dieses bloß angedeutete, unglaublich

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