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Die Alchemie der Naehe

Die Alchemie der Naehe

Titel: Die Alchemie der Naehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaia Coltorti
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vernichtenden Blick zum Schultor. Unauffällig zeigte sie dir das Mädchen, das die erbeutete Kette stolz zur Schau trug und gerade mit einer Schar Freundinnen redete, die ihr fasziniert zuhörten. Anschließend verschwand sie in der Halle, und die anderen Mädchen unterhielten sich weiter.
    Es war wirklich keine große Sache. Du brauchtest dich nur zu zeigen.
    Inzwischen war dein Anblick weitaus furchteinflößender als der des unschuldigen Jungen von früher.
    Du musstest dich bloß vor ihr aufbauen, und schon zitterte die hinterhältige Siebzehnjährige am ganzen Körper. Da es nicht einmal einen lächerlichen Freund gab, der sich zwischen sie und deine Wut werfen konnte, genügte es, ihr zu befehlen, die Kette zurückzugeben. Sofort nahm die Erpresserin sie ab und legte sie dir folgsam in die Hand.
    Â»Wenn du das noch mal versuchst, kannst du was erleben«, warntest du sie sicherheitshalber. »Das kannst du auch den anderen ausrichten.« Dann läutete zu ihrer großen Erleichterung die Schulglocke. » Verstanden ?«, zischtest du. Das Mädchen nickte unmerklich und beeilte sich dann, die Treppe hinaufzulaufen und das Klassenzimmer zu betreten, ohne sich noch einmal umzudrehen.
    Klatsch und Tratsch blühen immer, und auch in den anderen Schulen Veronas sprach sich die Nachricht von der fünften bis zur zwölften Klasse herum, sodass Selvaggia und du fast schon berühmt wurdet. Weil ihr wusstet, dass euch niemand verstehen oder auch nur respektieren konnte, ohne selbst als unmoralisch zu gelten, konzentriertet ihr euch irgendwann nur noch auf euch selbst und versuchtet, sämtliche Anfeindungen, Vorwürfe und Gehässigkeiten an euch abprallen zu lassen. Im Grunde musste Selvaggia das bereits akzeptiert haben, als sie sich dazu durchrang, dich zu lieben: Schon im Vorfeld hatte sie mit ihrer weitblickenden Liebe gewusst, was langfristig auf euch zukommen würde. Nachdem ihr also die Situation akzeptiert und euch eingeredet hattet, dass ihr nichts Schlimmes tatet, lieft ihr ungerührt durch Verona und hieltet euch in Pubs, Diskotheken und Laubengängen auf – überall dort, wo euch vor allem die jungen Leute, die sich so gern als Moralapostel aufspielten, eng umschlungen oder beim Küssen sehen konnten. Sollten sie ruhig sehen, wie erhaben eure Liebe über ihre Vorurteile, ihre Verachtung und ihre Ausgrenzung war.
    Ãœberall dort, wo ihr auftauchtet, wichen die, die euch kann ten oder von euch gehört hatten, einige Schritt zurück. Mit einer kaum verhohlenen Furcht, ja mit fast ehrfürchtigem Respekt flüsterten sie ihren Freunden zu: »Schau nur, da sind sie, die Blutschänder.

75
    Am 27. Februar wurdest du davon wach, dass dir schwindelig war. Als du dich aufsetztest, erfasste dich starke Übelkeit. Du nahmst den Kopf zwischen die Hände, merktest aber, dass es eine rein körperliche Reaktion war, die nicht wirklich etwas mit dir zu tun hatte, aber trotzdem auf dich übergesprungen war. »Selvaggia«, murmeltest du. »Es geht ihr nicht gut!«
    Zwischen euch hatte sich eine Art Telepathie entwickelt: Eure Körper reagierten symbiotisch, verlangten danach, sich zu einem einzigen System zu vereinen. Wenn sie Schmerzen hatte, spürtest du sie auch; und wenn du in der Schule nervös wurdest, dann weil sie irgendwo litt, wütend war oder Angst hatte – ganz so als genügten schon die leisesten Schwingungen, um euch über weite Strecken hinweg kommunizieren zu lassen. Egal was es war – du hieltst es nicht für etwas Übernatürliches oder Geheimnisvolles, sondern einfach nur für etwas, das auf eurer Wesensverwandtschaft beruhte, auf eurer Alchemie der Nähe.
    So sehr ein Liebender auch die Schmerzen des Geliebten nachvollziehen kann – spüren, wie sie eine Schulter, ein Handgelenk oder ein Bein erfassen, kann er nicht. Doch genau das war bei euch der Fall: Als sie sich die Bänder verletzt hatte, hattest auch du einen Schmerz gespürt; sie hingegen war, seit sie dich kannte, allergisch gegen Safran genau wie du, obwohl sie ihn vorher vertragen hatte.
    Du standst auf und gingst mit nervösen, leicht schwankenden Schritten in den Flur, sahst, dass ihre Tür angelehnt war, und hörtest sie husten: Sie war im Bad, und du klopftest vorsichtig an: »Selvaggia?«, riefst du von der Tür her. »He, alles in Ordnung?«
    Es dauerte, bis sie sagte:

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