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Die Alchemie der Naehe

Die Alchemie der Naehe

Titel: Die Alchemie der Naehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaia Coltorti
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dachte, ich bin der Einzige, der Angst hat«, sagtest du, um die Atmosphäre aufzulockern.
    Â» Ich soll dir Angst gemacht haben?«
    Â»Na, und ob! Manchmal warst du völlig abwesend, dann wolltest du von meiner Wenigkeit nichts mehr wissen oder warst stocksauer. Und dann gab es wieder Tage, an denen du gar nicht genug von mir bekommen konntest. Einfach war das wahrhaftig nicht!«
    Du brachtest sie zum Lachen, und als du sie so gelöst sahst, warst du überglücklich.
    Â»Ich muss auf dich gewirkt haben wie die totale Neurotikerin«, sagte sie.
    Â»Nein, nein, das nicht. Nur ein bisschen exzentrisch«, logst du. »Aber dafür liebe ich dich.« Uff.
    Â»Es ist mir inzwischen egal, dass wir blutsverwandt sind«, sagte sie. »Ich will einfach nicht mehr leiden und habe beschlossen, dir meine Liebe zu zeigen. Ich habe so das Gefühl, erst jetzt zu begreifen, was es eigentlich heißt zu leben.« Sie schmiegte sich eng an dich, und nach dieser Umarmung flüstertet ihr euch einen Schwall aufgeregter Worte zu, wobei ihr euch gegenseitig ständig unterbracht. Das alles sei wirklich nicht einfach für euch gewesen, sagtest du, doch jetzt komme es ausschließlich darauf an, nach vorn zu schauen und gemeinsam neu anzufangen.
    Ohne jede Reue und ohne Gewissensbisse.

47
    Es war neun Uhr morgens, als ihr an den Strand von Malcesine kamt, wo ihr euch damals nahegekommen seid.
    Gleich nach eurer Ankunft cremte dir Selvaggia den Rücken ein, während ihr ganz in der geheimnisvollen Stille dieses idyllischen Ortes aufgingt.
    Â»Ich gehe schwimmen, kommst du mit?«, fragtest du, nachdem ihr eine Stunde lang in der Sonne gelegen und geredet hattet. Sie schüttelte den Kopf, und du drangst nicht weiter in sie. Seit Tagen hattest du schon auf dein Schwimmbadtraining verzichtet und schwammst deshalb ausgiebig, allerdings ohne dich zu überanstrengen. Als du schließlich aus dem Wasser kamst, ertapptest du sie dabei, wie sie dich gedankenverloren ansah.
    Â»Was liest du da?«, wolltest du wissen und legtest dich zu ihr aufs Handtuch.
    Â»Hör zu!«, befahl sie: »Dein Name ist nur mein Feind. Du bliebst du selbst, und wärst du auch kein Montague. Was ist denn Montague? Es ist nicht Hand, nicht Fuß, nicht Arm noch Antlitz, noch ein andrer Teil von einem Menschen. Sei ein andrer Name! Was ist ein Name? Was uns Rose heißt, wie es auch hieße, würde lieblich duften.«
    Â»Dann vergiss einfach den Namen ›Bruder‹«, unterbrachst du sie. »Dann bin ich nur noch Johnny. Nimm mir deinen Nachnamen weg, der sowieso bloß eine Konvention ist, und was dann übrig bleibt, bin ich, dein Giovanni.«
    Sie sah dich verträumt an. »Ich kenne keinen Giovanni«, sagte sie. »Ich kenne Johnny.«
    Â»Dann bin ich von nun an nur noch Johnny«, gabst du zurück und küsstest sie. Sie erwiderte den Kuss, und die Ausgabe von Shakespeares Romeo und Julia fiel in den Sand, wo sie auch liegen blieb, weil ihr viel zu sehr damit beschäftigt wart, euch auf euren Handtüchern herumzuwälzen und zu küssen.
    Â»Ich liebe dich, ich liebe dich«, flüsterte sie dir ins Ohr und umarmte dich ganz fest. Du tatst dasselbe, und eure Stimmen überlagerten sich. Irgendwann musstet ihr gleichzeitig lachen und weinen, wurdet von einer Welle aus Glück und purer Verzweiflung überrollt, während ihr so tatet, als wüsstet ihr nicht mehr, wer ihr in Wahrheit wart. So sehr ihr euch auch als Seelenverwandte, als ganz normale Jugendliche, ja als völlig normales Paar betrachtetet – in euren Adern floss dasselbe verfluchte Blut. Und trotz all dieser gegenseitigen Beteuerungen und schwierigen Überzeugungsversuche wusstest du das die ganze Zeit über und vergaßt es keine Sekunde.
    Immer wieder ertapptest du deine Schwester dabei, wie sie hoch konzentriert dem bläulichen Verlauf einer Vene folgte, die durch die Haut deines Armes schimmerte, wobei sie sich vermutlich fragte, welch grausames Schicksal dafür gesorgt hatte, dass ihr aus demselben Schoß kamt. Aber vielleicht fragte sie sich auch bloß, welcher Wahn euch dermaßen aneinanderfesselte, wo ihr euch eigentlich voneinander abgestoßen fühlen müsstet. Und doch liebtet ihr euch!
    Â»Was ist eigentlich so schlimm daran, sich zu lieben?«, fragte sie und verbarg ihr Gesicht an deiner Brust.
    Â»Nichts.« Wieder einmal strichst du ihr zärtlich

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