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Die Alchemie der Naehe

Die Alchemie der Naehe

Titel: Die Alchemie der Naehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaia Coltorti
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Lächeln fehlinterpretierte.
    Â»Wirklich Mama, es ist alles in bester Ordnung. Ich bin bloß ein bisschen müde. Und auch ein bisschen traurig, aber es gibt nichts, worüber du dir Sorgen machen müsstest.«
    Â»Verstehe … Wie dem auch sei: Ich lasse dir auf jeden Fall die Telefonnummer von dieser großartigen Psychologin da: Ernesta Gauvadan. Ich war im Studium mit ihr befreundet, und sie ist eine echte Koryphäe, was junge Leute betrifft. Du kannst dir ja überlegen, ob du sie anrufen willst, einverstanden?« Sie lächelte und ließ wieder mal zweiunddreißig supernervige Zähne aufblitzen.
    Â»Gut. Okay, Mama, aber wenn es dir nichts ausmacht, wäre ich jetzt lieber allein.« Daraufhin ging sie in der festen Überzeugung, mal wieder eine Wahnsinnstat vollbracht zu haben, zur Tür und zwinkerte dir vertraulich zu. Als sie aufmachte, entdecktest du die Umrisse deines Vaters, der anscheinend im Flur gewartet hatte, um sich ebenfalls ein Bild zu machen.
    Was für Idioten!
    Ernesta Gauvadan hatte dir gerade noch gefehlt! Diese herausragende Persönlichkeit konnte dich untersuchen, so viel sie wollte, und würde doch nichts herauszufinden. Von der Krankheit, die dich befallen hatte, würdest du nie mehr genesen. Und so triebst du halb tot in einem endlosen Depressionsmeer dahin, während die Tage vergingen. Natürlich hinderten dich deine Seelenqualen nicht daran, Selvaggia und ihre Launen im Auge zu behalten und heimlich zu überwachen, was sie so trieb.
    Trotz allem war es verblüffend, euch nicht einzeln, sondern paarweise zu betrachten, denn euer Verhalten war buchstäblich deckungsgleich. Eigentlich hättest du gedacht, dass sie glücklich sein, ihr seelisches Gleichgewicht wiederfinden, neue Leute kennenlernen und ab und zu ausgehen müsste. Doch stattdessen schloss sie sich in ihrem Zimmer ein. Ein paarmal glaubtest du sogar, sie leise weinen zu hören, und so sehr du auch darunter gelitten hast, nicht zu ihr gehen und sie umarmen zu können, sagtest du dir, dass sie bestimmt ihre Gründe hatte, warum sie dich nicht um Hilfe bat. Und die musstest du mittlerweile respektieren.
    Auf jeden Fall wart ihr beide in einer bemitleidenswerten Verfassung. Genau wie du rührte sie kaum noch ihr Essen an, und du bezweifeltest, dass sie nachts schlief, weil du sie stets mit geröteten Augen und einer ungekannten Blässe sahst.
    Du gingst sogar so weit, dich irgendwann zu fragen, ob du ihr nicht mehr wehtatst, wenn du ihre Entscheidung respektiertest, anstatt sie mit dem Wunsch zu bedrängen, sie lieben, ja besitzen zu wollen. Doch es dauerte nie lange, bis du wieder davon abkamst, weil du dir einredetest, das sei bloß ein Vorwand oder grausame Einbildung.

45
    Es war drei Uhr morgens. Du schliefst immer noch nicht, und ehrlich gesagt schliefst du schon seit Tagen so gut wie gar nicht mehr. Nachts drang jedes noch so kleine Geräusch bis zu dir: wie der Wecker eines Wachsoldaten.
    Du hörtest, wie Selvaggia den Flur betrat, wie ihre Schritte sich dem Bad näherten, und lauschtest dann eine Weile dem Wasserrauschen. Nach wenigen Minuten kehrten dieselben Schritte auf ihr Zimmer zurück.
    Auch deine Schwester konnte nicht schlafen, und kurz darauf wurden andere Geräusche laut: wieder ihre Schritte im Flur und das Klirren von Schlüsseln. Das kam dir seltsam vor. Was wollte sie um drei Uhr nachts mit den Schlüsseln?
    Doch anders als vorhin – zumindest ihren Schritten nach zu urteilen – schien sie diesmal Schuhe zu tragen. Du hörtest, wie sie nach unten ging, und ahntest, dass sie das Haus verließ. Aber wohin wollte sie um diese Uhrzeit? Da bist du sofort aus dem Bett gesprungen. Misstrauisch hast du die Tür geöffnet und in den dunklen Flur gespäht. Sie verließ tatsächlich das Haus! Alarmiert bist du rasch in T-Shirt, Jeans und Mokassins geschlüpft und hast ihre Verfolgung aufgenommen.
    Selvaggia zu beschatten, schien dir fast zur Gewohnheit zu werden, und das gefiel dir ganz und gar nicht. Doch diesmal war es anders als in Genua. Damals war es nur ein Verdacht, der dich dazu bewog – jetzt lenkte eine irrationale Angst deine Schritte.
    Kein Stern war zu sehen, und wahrscheinlich würde schon bald ein Sommergewitter niedergehen. Es wehte ein seltsam kühler Wind. Sie lief in vierzig Schritt Entfernung vor dir her, scheinbar unbeeindruckt von den Windböen. Und obwohl sie

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