Die Alchemie des Bösen: Roman (German Edition)
Harschmort war mit Steinschutt übersät.
»Es sieht nicht so aus, als wüsste Robert Vandaariff überhaupt etwas von diesem Anleger.«
»Nein«, stimmte die Contessa zu. »Vielleicht war er auf den Plänen nicht verzeichnet …«
»Wie kann etwas, das gebaut wurde, nicht auf Plänen verzeichnet sein?«
»Celeste, wie bringen Sie es überhaupt fertig, Ihr Frühstück zu essen?«
Miss Temple folgte ihr zu einer ehemals prachtvollen Tür aus zehn Zentimeter dicken Planken, die in Stahl gefasst waren. Jetzt war das Holz zerfressen, und die Tür hing an einer Angel. Die Contessa hob ihr Kleid, trat mit einem Fuß dagegen, und die Tür fiel in sich zusammen. Sie wandte den Kopf ab und wartete, bis sich die Staubwolke gelegt hatte, dann trat sie über das Chaos hinweg.
»Warum haben Sie gesagt, wir müssten schwimmen?«, wollte Miss Temple wissen.
»Weil wir das vielleicht müssen. Oder ich zumindest.«
»Warum ich nicht?«
»Sie vielleicht auch.«
»Vielleicht werde ich meinen ganz eigenen Weg gehen.«
»Vielleicht ist das ja mein Wunsch.«
»Ihre Absichten interessieren mich nicht im Geringsten«, sagte Miss Temple. »Das hier führt nirgendwo hin.«
Die Decke war eingestürzt, und der Weg war von einem Schutthaufen versperrt. Die Contessa stellte die Laterne auf den Lederkoffer und beugte sich zu einem Stein hinab. Mit angestrengter Miene hob sie ihn hoch und warf ihn hinter sich.
»Stellen Sie den Korb ab und helfen Sie.«
»Das meinen Sie nicht im Ernst.«
Die Contessa hob einen zweiten Stein. »Wenn Sie mir nicht helfen, schlage ich Ihnen den Schädel ein.«
Miss Temple nahm die Laterne und kletterte auf den Haufen, wobei sie Ziegelsteine und Geröll lostrat. Oben schob sie einen Arm zwischen zwei Balken und zwängte dann ebenfalls ihren Kopf hinein. Staub stieg um sie herum auf.
»Celeste, Sie machen nur noch mehr Arbeit.«
»Hier ist ein Durchschlupf.«
»Sie passen da nicht durch. Und ich auch nicht.«
»Sie irren sich. Sehen Sie selbst.«
Die Contessa kletterte mutig nach oben, wobei sie mit der einen Hand ihr Kleid raffte und mit der anderen umhertastete, bis sie sich schließlich an einem Balken festhalten konnte – eine Aktion, die eine weitere Staubwolke verursachte. Sie spuckte aus.
»Sehen Sie!«
Miss Temple hob die Laterne. Vielleicht drei Meter über ihnen war ein schwarzes Loch zu erkennen.
»Wohin das wohl führt? Wir könnten in einem solchen Loch auch eingeschlossen werden.«
»Wir sind in einem Loch eingeschlossen.« Miss Temple reichte der Contessa die Laterne. »Halten Sie sie still. Ich gebe mir alle Mühe, Sie nicht zu begraben.«
Es war wie das Erklettern einer Araukarie, und auch wenn sie das seit einem Jahrzehnt nicht mehr getan hatte, so erinnerten sich Miss Temples Gliedmaßen doch daran, wie man sich von einem Ast zum nächsten hangelte. Nur einer der Balken gab nach, und ihr Herz setzte einen Moment lang aus, als – inmitten einer Kaskade aus Schutt und Staub, wobei von unten Flüche auf Italienisch zu hören waren – das Licht ausging. Miss Temple hielt sich dort fest, wo sie gerade war, und wartete, bis der Schutt nicht mehr rieselte.
»Goffo scrofa!«
»Alles in Ordnung bei Ihnen?«
Ein Streichholz wurde angerissen, und das Licht war wieder da und zeigte die Contessa mit staubbedecktem Haar, als wäre es eine altmodische gepuderte Perücke. » Klettern Sie.«
Es war nicht weit, und sobald ihre Füße festen Halt fanden, hob Miss Temple ihren Kopf bis zum Rand eines Korridors. »Einen Moment … schließen Sie die Augen …«
Sie hämmerte mit der Faust gegen den bröckligen Rand und klopfte loses Ziegelmaterial ab, bis sie sicher war, dass der Rest ihr Gewicht tragen würde. Miss Temple schob sich über den Rand. Die Luft war warm und feucht. Sie konnte nichts erkennen, doch die Geräusche um sie herum – Wasser und Maschinen – kamen aus einer gewissen Entfernung.
»Reichen Sie alles herauf«, flüsterte sie. »Wir sind drin!«
Die Contessa kletterte mit saurer Miene und voller Staub zu ihr hinauf und ließ das Kerzenlicht umherwandern: ein Tonnengewölbe, eine aus den Angeln gerissene Tür und eine Reihe von Schmelzöfen, die alle kalt waren.
»Ich wette, Sie würden sich über ein kleines Bad jetzt freuen«, sagte Miss Temple, als sie ihren Weg fortsetzten.
Die Contessa gab keine Antwort, und Miss Temple wurde bewusst, dass sie sich ruhig verhalten mussten, weil hinter jeder Ecke ein Gegner sein konnte. Sie gingen weiter, vorbei an Pfützen
Weitere Kostenlose Bücher