Die Alchemie des Bösen: Roman (German Edition)
beiseite. Sie konnte weder ändern, was geschehen war, noch – weil mit gestilltem Verlangen der Geist klarer wurde (von der Contessa wahrscheinlich beabsichtigt) – bereute sie es. Abgesehen davon irrte sie sich: Es würde nicht wieder geschehen. Bald – sehr bald sogar – wäre entweder sie oder die Contessa di Lacquer-Sforza tot.
Sie fuhren ohne viele Worte dahin. Miss Temple stieß die feuchten Moosstränge weg, die immer tiefer herabzuhängen schienen.
»Das Wasser ist gestiegen«, beklagte sich die Contessa.
»Was ist, wenn wir keinen Platz mehr haben? Was ist, wenn Pont-Joule weiter vorn noch eine Sperre errichtet hat, um Leute fernzuhalten?«, fragte Miss Temple
»Das hat er nicht.«
»Waren Sie schon einmal hier?«
»Niemand war je hier.«
»Dann können Sie es nicht wissen.«
»Seien Sie still. Oh, verdammter Mist …«
Die Contessa duckte sich, als sie in einen besonders nassen Vorhang aus Moos fuhren, der Miss Temple das Handtuch vom Kopf zog. Sie schrie angewidert auf und legte sich flach ins Boot. Aber dann waren sie hindurch, und das Boot begann sich langsam zu drehen, als der Kanal sich zu einem tieferen Becken verbreiterte. Die Decke wurde höher und wölbte sich, und die verdreckten Kacheln in verschiedenen Farben bildeten ein Mosaik.
»Wir sind in St. Porte.«
Miss Temple folgte dem Blick der Contessa zu einem gänzlich verschiedenen Anleger. Hatten die anderen aus schlichtem Ziegelmauerwerk bestanden, so war dieser hier aus weißem Stein gemeißelt, mit einer Reihe ehemals eleganter Glastüren, die vom Schmutz ganz matt waren.
»Was war in St. Porte?«, fragte sie.
»Eine Frau, die nicht die Königin war.«
Miss Temple dachte darüber nach. Die Contessa hatte neugierig die Pinne umgelegt, um das Boot zu verlangsamen. Niemand, nicht einmal die respektlose Jugend, hatte die Türen je entdeckt, denn sämtliche Glasscheiben waren fast vollständig intakt.
»Wer war sie? Wer war er?«
»Ein König mit einer dicken ausländischen Frau.«
»Aber was ist passiert?« Miss Temple blickte zurück, als die Strömung sie weitertrug.
»Sie ist gestorben. Der König ist nie mehr hierhergekommen.«
»Ich nehme an, er konnte nicht«, sagte Miss Temple.
»Natürlich nicht«, sagte die Contessa. »Sie ist an der Pest gestorben. Der Rest des Ortes – oberirdisch – wurde dem Erdboden gleichgemacht.«
Hinter St. Porte wurden die Anleger seltener, und der letzte war nur noch ein Haufen verrotteter Stützpfeiler. Die Contessa wechselte die Kerze aus, die heruntergebrannt war.
»Das ist der letzte Halt vor Harschmort, obwohl wir noch ein gutes Stück vor uns haben. Harschmort ist nicht umsonst so weit weg.«
»Was wird uns dort erwarten?«, fragte Miss Temple. »Wie wird die Begrüßung ausfallen?«
»Woher soll ich das wissen?« Die Contessa warf den Kerzenstummel mit einem Klatschen ins Wasser.
»Es ist Ihre Expedition.«
»Der Zug war keine Option, und unsere Situation in Bathings hat auch keine Kutsche erlaubt.«
»Das ist eine Lüge. Sie hatten diese Route geplant.«
»Ich habe viele Pläne. Aber so wie ich den Kanalanleger von St. Porte noch nie gesehen habe, kenne ich auch den von Harschmort nicht – wegen Oskars Bau, seinem großen Raum . Das Fundament war durch eine Mauer abgetrennt, sogar als er den Kanal für die Stromversorgung nutzte.«
Miss Temple runzelte die Stirn. »Aber der Raum ist bei einer Explosion zerstört worden. Chang hat das erzählt.«
»Ja, ich weiß.«
»Was ist, wenn es überhaupt keinen Anleger gibt?« Die Con tessa antwortete nicht. Miss Temple drehte sich zu ihr um. »Ich habe Hunger.«
»Sie hätten vorhin etwas essen sollen.«
»Haben Sie etwas zu essen dabei oder nicht?« Miss Temple griff nach dem Korb.
»Celeste.«
»Wenn Sie mich davon abhalten wollen, kippe ich das Boot um.« Ohne auf eine Antwort zu warten, klappte sie den Weidendeckel zurück. Darin lagen drei bauchige Flaschen, die mit Korken und schwarzem Wachs verschlossen waren. Miss Temple nahm diejenige, die am nächsten lag, heraus und hielt sie ans Licht.
»Zum Teufel mit Ihnen, Celeste Temple, legen Sie die zurück!«
»Sagen Sie mir, was drin ist, oder ich werfe sie über Bord.«
»Das würden Sie nicht tun. So dumm könnten Sie nicht sein – oh verdammt. Es ist eine Flüssigkeit, die Sie schon einmal gesehen haben, etwas, das man aus Blutstein herstellt. Sie ist orangefarben und meistens ziemlich schädlich.«
»In allen drei Flaschen?«
»In allen dreien, Sie kleines
Weitere Kostenlose Bücher