Die Alchemie des Bösen: Roman (German Edition)
und abgeplatztem Putz, bis sie schließlich eine von Gaslicht erhellte Wendeltreppe erreichten. Sie stiegen die erste Windung zu einer Tür hinauf. Die Contessa blickte sie an.
»Stellen Sie den Korb ab.« Miss Temple gehorchte vorsichtig. Die Contessa reichte ihr den Lederkoffer. »Nehmen Sie den.«
Miss Temple tat es und trat dann zurück. »Warum?«
»Weil ich nicht alles tragen kann. Und weil ich ihn jetzt nicht brauche. Ich habe ihn Ihnen abgenommen, damit Sie keine Waffe haben.«
Miss Temple blickte zu dem Korb und überlegte, ob sie sich ihn ebenfalls schnappen und mit beiden Büchern losrennen konnte.
»Ich dachte, Sie brauchen mich. Ich dachte, man würde mich benutzen.«
»Wollten Sie das etwa?«
»Natürlich nicht.«
»Was wollen Sie wirklich , Celeste?«
»Ich will ihn aufhalten«, sagte sie frech. »Das alles aufhalten. Ich will Chang retten. Und Svenson.« Sie zögerte. »Und mich selbst.« Die Contessa schürzte skeptisch die Lippen. Miss Temple hätte sie am liebsten getreten. »Was wollen Sie ?«
»Oskar finden.«
»Was?«
Die Contessa schwieg. Irgendwie hatte sie auf einmal das Messer in der Hand.
»Aber warum ?« Miss Temple verstand überhaupt nichts. »Und wie? Oskar ist tot. Und er will Sie vernichten . Sie haben das Gemälde gesehen. Diese Leute werden eingedampft – sie werden getötet und in Wannen gekocht, und was von ihnen übrig ist, gibt man ihm, damit er wieder zum Leben erwacht.«
»Reinkarniert. Das ist ein Unterschied.«
Miss Temple erinnerte sich ziemlich lebhaft an die letzten Sekunden des Comte im Luftschiff und seinen Zorn über den Tod von Lydia Vandaariff. Seine Absicht, der Contessa den Hals umzudrehen, war nur durch Changs Säbel verhindert worden. »Sie verstehen nicht. Er ist verrückt. Er war tot …«
»Und was, wenn er das nicht mehr wäre? Wenn er einfach der verrückte alte Oskar wäre?«
»Er existiert nicht.«
»Dann können Sie ihn töten, wenn ich falschliege. Und andernfalls seine kleine Braut werden. Sie werden hinaufgehen wollen. Und fallen Sie über niemanden her. Bleiben Sie bis zum Schluss am Leben.«
»Wohin gehen Sie?«
»Zu den Werkstätten natürlich. Erinnern Sie sich an die Gruft?«
»Was ist damit?«
»Wirklich, Celeste, stellen Sie sich nicht dumm.«
»Ich bin nicht dumm. Wenn ich nicht wäre, stünden Sie noch immer auf dem Anleger.«
»Wie stets, Celeste Temple, unterschätzen Sie alles .« Die Contessa hob den Korb auf und schlüpfte durch die Tür.
Miss Temple stand da, völlig verblüfft, plötzlich allein zu sein, ein Gefühl, das sie auf das Heftigste ablehnte. Sie hatte nichts unterschätzt. Sie konnte den Tod des Comte in ihrer Kehle spüren. Warum riskierte die Contessa ihr Leben, um ihn wiederherzustellen? Ihre Augen wurden schmal, als jetzt, nachdem sie weg war, Wut in ihr hochkam. Wenn sie sich selbst schon nicht retten konnte, wollte sie verdammt sein, wenn ihre beiden Schicksale nicht denselben Lauf nehmen würden.
Sie ging zur nächsten Tür hinauf. Der Treppenabsatz war feucht, und nasse Fußabdrücke führten die Stufen hoch. Einer der Abdrücke, der rechte, hatte einen roten Fleck. Gegen alle Vernunft fragte sie sich, ob das Chang war. Sie verkniff es sich, laut zu rufen. Die Fußabdrücke führten weiter nach oben, an der nächsten Tür vorbei, die sie aus Neugier zu öffnen versuchte. Der Türknauf quietschte – die Tür war verschlossen –, und dabei hörte Miss Temple ein weiteres Geräusch von oben. Sie hielt den Atem an. Dann waren leise Schritte von oben zu vernehmen. Miss Temple zog sich leise zurück, bis sie außer Sichtweite war. Die Schritte auf dem Podest verstummten, und sie hörte ein Quietschen, als jemand die Tür zu öffnen versuchte, und dann das Klirren von Schlüsseln. Die Tür öffnete sich … schloss sich wieder … Stille. Der Mann war verschwunden. Wenn sie sich beeilte, konnte sie ebenfalls durch die Tür schlüpfen, ohne, wie die Contessa sie gewarnt hatte, über jemanden herzufallen .
Sie eilte um die Windung herum und traf auf Mr. Foison, der auf dem Treppenpodest stand. Er stürzte sich wie eine Katze auf sie und knurrte vor Schmerz, als er landete und gerade noch ihren Kleidersaum erwischte. Sie rannte nach unten und versuchte, die Tür auf dem nächsten Absatz zu öffnen, aber sie hatte sie erst einen Spalt breit aufgemacht, als Foison plötzlich da war. Sie schlug mit dem Koffer nach ihm. Er wehrte den Schlag ab und packte sie am Handgelenk.
»Wie sind Sie
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