Die Alchemie des Bösen: Roman (German Edition)
hierhergekommen?«, fauchte er. »Wo ist sie ?«
»Wo ist Chang?«
»Chang ist verschwunden.«
Seine kalte Stimme erinnerte Miss Temple wieder an die Raaxfall-Fabrik. Sie trat gegen den Verband um seinen rechten Oberschenkel und versuchte mit aller Kraft, ihr Handgelenk wegzureißen. Foison ließ los, doch dann packten seine Finger den Koffer. Einen Moment lang zerrten beide daran, aber er war zu stark. Sie ließ los. Er taumelte zurück, und Miss Temple rannte davon.
Sie stürmte durch die nächste Tür und lief, bis der Gang auf eine weitere nasse Stelle traf. Sie blickte zurück und stellte fest, dass Foison ihr nicht gefolgt war. Natürlich nicht: Er hatte den Lederkoffer geöffnet und gesehen, was sie sich dummerweise hatte wegnehmen lassen.
Wieder auf dem Stockwerk, von wo aus sie losgegangen war, blieb Miss Temple stehen und dachte nach. Was hatte Foison hier gemacht? Ein Mann wie er reparierte keine Maschinen. Hatte er jemanden verfolgt? Und wie kam es, dass er so nass war?
Auf der anderen Seite der nassen Stelle sah sie Wasser aus einem offenen Gitter fließen, das von oben kam. Sie spähte hinauf, wobei sie ihr Gesicht vor dem Sprühwasser schützte, und ihr Herzschlag beschleunigte sich. War Foison jemandem auf einer so gefährlichen Route nach Harschmort gefolgt – jemandem wie Chang?
Doch wenn er Chang auf den Fersen war, wäre er ihr nicht gefolgt und hätte nach Verstärkung gerufen. Aus irgendeinem Grund verstand sie es nicht, Mr. Foison hatte sich selbst heimlich Zutritt zu Harschmort verschafft, wahrscheinlich durch das Innenleben der neu errichteten Konstruktion seines Herrn.
Sie machte sich Mut und kehrte zur Treppe zurück. Foison war verschwunden. In diesem Fall, sagte sich Miss Temple, würde sie ihn verfolgen.
Die blutigen Fußabdrücke führten noch weiter die Treppe hinauf, trotz – und Miss Temple schlug das Herz jedes Mal, wenn sie vorbeischlich, bis zum Hals – der nicht zu überhörenden Anwesenheit von Vandaariffs Männern hinter jeder Tür eines Treppenabsatzes. Foison war auf eigene Faust hier. Doch am oberen Ende der Treppe hatte ihre Suche ein Ende, da die Blutspur an einem langen Teppichläufer endete.
Sie ging weiter. Das war Harschmort. Sie würde jemandem begegnen – und ihn angreifen müssen. Auch darin täuschte sich die Contessa.
Als sie Rufe hörte, lief sie ihnen ebenso entgegen wie auch der nachfolgenden Explosion. Vor ihr rannte eine schlanke Frau mit bronzefarbener Haut und schwarzem Haar durch einen rauchenden Türbogen. Sie sah Miss Temple, blieb jedoch nicht stehen.
»Beeilung!«, rief sie. »Laufen Sie!«
Ohne nachzudenken, ergriff Miss Temple die Hand der Frau und floh mit ihr. Sie verlor einen Korkslipper und schleuderte den anderen drei Schritte später weg.
»Sie sind alle gefangen …«
Schreie und das Geräusch von berstendem Glas erklangen hinter ihnen. Miss Temple sah Schatten, die in blauem Rauch kämpften, und messingbehelmte Männer, die mit Schlagstöcken in die Wolke vorstießen.
Die Frau sah mit weit aufgerissenen Augen zu und schlug sich die Hand vor den Mund. »Mein Sohn …«
Miss Temple zog sie weiter. »Sie können nichts tun. Laufen Sie.«
»Wer sind Sie?«, wollte die Frau atemlos wissen. »Wie sind Sie entkommen?«
»Ich bin nicht entkommen. Ich habe mich hereingeschlichen. Warten Sie.«
Sie erreichten eine Tür, die nur angelehnt war, und Miss Temple spähte hindurch. Vier Männer in grünen Mänteln lagen auf dem Boden, obwohl sie nicht verwundet waren. Die Luft stank nach Indigolehm, und Miss Temple brannten die Augen.
»Warten Sie«, keuchte die Frau. »Für alle Fälle. Mein Name ist Madeleine Kraft …«
»Es gibt kein ›für alle Fälle‹, wenn wir weitergehen«, erwiderte Miss Temple.
»Ich kann nicht rennen. Sie werden uns erwischen. Hören Sie. Sie wissen nicht, wer ich bin. Bitte. Er hat einmal etwas erklärt …«
»Wer?«
Sie drückte Miss Temple die Hand und bat sie damit um Geduld. »Der Comte d’Orkancz. Das Geheimnis ist Licht. ›Die chemische Wertigkeit von Licht‹ – als wäre es so fest wie Erde oder Wasser, oder so aktiv wie Feuer oder Kälte. Er hat – und seien Sie nicht schockiert – eine Glasscheibe auf den Körper einer Frau gelegt und einen Vorhang geöffnet, sodass Sonnenlicht darauf fiel. Sie hat vor Freude gesungen.«
»Welche Frau?«
»Das spielt keine Rolle. Ihr Name war Angelique …«
Miss Temple zog ihre Hand weg. »Aha.«
»Licht. Die Eigenschaft des blauen Glases
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