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Die Alchimistin 01 - Die Alchimistin

Titel: Die Alchimistin 01 - Die Alchimistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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zurück. Dann streckten die Zwillinge Gillian die Hände entgegen. Ihm ekelte vor ihrer Berührung, aber es war der schnellste und sicherste Weg, nach oben zu gelangen.
    Jeder der beiden trug eine Dienerlivree mit gestärktem Hemdkragen und schwarzer Weste. Die Männer bewegten sich wie spindeldürre Insekten, zerbrechlich, aber kraftvoll.
    Die Falltür befand sich in einer Kammer aus braunen Ziegelmauern. Steins Kerze und Gillians Handlampe waren die einzigen Lichtquellen im Raum. Eine alte Bohlentür hing schief in ihren Angeln.
    Die Zwillinge führten ihn hinaus, durch mehrere Korridore und leerstehende Lagerräume in eine unterirdische Halle. Die Wände waren holzgetäfelt, der Boden unter Schichten von Teppichen begraben. Kerzenleuchter verbreiteten Licht und Wärme. An den Wandtäfelungen hingen zahlreiche Gemälde. Das eine oder andere erkannte Gillian von seinen gelegentlichen Besuchen in Wiens Galerien. Lysander gab sich nicht mit Fälschungen zufrieden. Was an seinen Wänden hing, war echt.
    Nachdem sein Eingreifen Gillians Leben gerettet hatte, mußte Lysander ihnen vorausgeeilt sein, denn weder an der Falltür noch in den unterirdischen Fluren hatte Gillian eine Spur von ihm entdeckt.
    Jetzt aber stand er am anderen Ende der Halle, oberhalb einiger Stufen. Er hatte seinem Gast und den Zwillingen den Rücken zugewandt und konzentrierte sich ganz auf eine Leinwand, die vor ihm an einer Staffelei lehnte. Daneben stand auf einem zweiten Gestell ein gerahmtes Gemälde, Winter von Giuseppe Arcimboldo. Der Italiener war einst Maler am Wiener Hof gewesen. Das Bild zeigte das Profil einer merkwürdigen Gestalt, halb Mensch, halb Pflanze. Aus ihrem Schädel wucherte ein groteskes Flechtwerk aus Zweigen.
    Lysander trug feinstes Tuch, einen Anzug von blendendem Weiß. Sein Rücken war leicht gebeugt, ein ungewohnter Anblick. Um seinen Hals hatte er eine Pelzstola geschlungen. Alles, was Gillian von ihm sah, war das hellgraue Haar an seinem Hinterkopf. Lysander schien es nicht für nötig zu halten, sich seinem Besucher zuzuwenden. Statt dessen war er mit Pinseln und Farben auf seiner Leinwand beschäftigt. Offenbar kopierte er das Gemälde Arcimboldos, allerdings aus einer anderen Perspektive – von hinten. Ein alter Spleen Lysanders: Er liebte es, berühmte Kunstwerke aus der Rückansicht zu interpretieren und dabei neue, im Original unsichtbare Details zu enthüllen.
    Gillian entdeckte, daß nur die rechte Wand der Halle mit gestohlenen Gemälden aus Wiens Galerien geschmückt war – an der linken hingen die entsprechenden Hinteransichten, die Lysander mit einigem Talent gefertigt hatte.
    Die Zwillinge hielten Gillian zurück, als er sich ihrem Meister nähern wollte. Noch immer lag zwischen ihnen eine Entfernung von zehn, zwölf Metern.
    »Darf ich nicht näher kommen?« fragte Gillian und schüttelte die Hände der beiden Diener ab.
    »Nein.« Lysanders Stimme klang sanft wie immer, doch Gillian hatte sie weit jünger in Erinnerung. In den Jahren, seit sie sich zuletzt gesehen hatten, konnte er schwerlich so sehr gealtert sein. Vielleicht hat er eine Erkältung, dachte Gillian halbherzig. Kein Wunder in diesen Kellern, obgleich die Halle fürstlich ausgestattet war. Wer nicht wußte, daß er sich unterhalb der Stadt befand, hätte es wohl kaum vermuten können. Allein Fenster gab es keine.
    Lysander räusperte sich leise, doch die Heiserkeit – oder das Alter – in seiner Stimme blieb. »Du hast einen anderen Weg genommen, als den, um den ich dich bat. Glaubst du wirklich, du hast es nötig, mir irgend etwas zu beweisen?«
    Der Angriff traf Gillian unerwartet, und er zögerte einen Moment, ehe er antwortete. »Ich bin erleichtert, daß die Wachsamkeit deiner Kreaturen nicht nachgelassen hat. Diese Erkenntnis war mir die Mühe wert.«
    Beim Wort Kreaturen zogen Stein und Bein scharf die Luft ein, was Gillian mit stummer Genugtuung erfüllte.
    Lysander wandte ihm nach wie vor den Rücken zu. »Ich habe eine Aufgabe für dich.«
    Natürlich hast du das, dachte Gillian, deshalb bin ich hier.
    »Sag mir bitte«, verlangte Lysander höflich, »kennst du das dritte Gemälde von rechts, in der unteren Reihe?«
    Verwundert wandte Gillian den Kopf zu den Originalen und suchte das betreffende Bild. Es zeigte eine Felseninsel in einem stillen, dunkelgrünen Meer. Aus der Mitte der Felsformationen ragten einige Bäume hervor, Zypressen. Ein Ruderboot näherte sich der Insel, auf dem aufrecht eine weißverhüllte Gestalt

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